Tomas Sedlacek: Die Ökonomie von Gut und Böse
Gerhard Klas
Wenn der Wirtschaftsmotor nicht brummt und ganze Volkswirtschaften in die Rezension zu rutschen drohen, schlägt die Stunde der Ökonomen. Oder besser gesagt: Die Stunde der Ökonomen, die vermeintlich alles – oder vieles – anders machen wollen. Einer von ihnen ist der junge Tscheche Tomas Sedlacek. Der Ökonom Tomas Sedlacek sagt: Wirtschaft ist weit mehr als nackte Zahlen.
28.04.2012
Wenn der Wirtschaftsmotor nicht brummt und ganze Volkswirtschaften in die Rezension zu rutschen drohen, schlägt die Stunde der Ökonomen. Oder besser gesagt: Die Stunde der Ökonomen, die vermeintlich alles – oder vieles – anders machen wollen. Einer von ihnen ist der junge Tscheche Tomas Sedlacek.
Der Ökonom Tomas Sedlacek sagt: Wirtschaft ist weit mehr als nackte Zahlen. Deshalb fordert er eine Rückkehr zu den «alten» Werten der Ökonomie. Die sei mehr als die Anwendung mathematischer Modelle, die heute die Volkswirtschaftslehre dominieren, der er Arroganz gegenüber anderen Wissenschaften bescheinigt. Die Ökonomie sei vor allem eine interdisziplinäre Sozialwissenschaft und müsste sich auch mit psychologischen und philosophischen Fragestellungen beschäftigen. Dafür greift der 35-jährige Autor zurück auf das Gilgamesch-Epos, Philosophen der griechischen Antike, das Judentum, das Alte und das Neue Testament und stellt Verbindungen zu den Ikonen der neoklassischen Ökonomie her, z.B. Adam Smith, den er rehabilitieren will.
Sedlacek fängt ganz von vorne an. Er fragt nach dem Sinn der Ökonomie, ihrem praktischen Nutzen und ihrem Verhältnis zum Menschen. Ist die menschliche Natur gut oder böse? Ist er von Natur aus böse, also der Mensch dem Menschen ein Wolf, braucht es die harte Hand eines Herrschers. Ist er von Natur aus gut, kann man die Zügel lockern und in einer Gesellschaft mit mehr Laissez-faire leben, behauptet Sedlacek. Nicht nur in Tschechien ist er mit solchen Thesen gelandet, sein Buch hat sich dort mehr als 60000 mal verkauft. Mittlerweile ist es ein internationaler Bestseller. Sedlacek kommt jedenfalls zum Schluss, dass der Mensch gut sei, er müsse nur seine Fähigkeiten und seine Moral entsprechend einsetzen.
Genau hier liegt der Haken: Denn Sedlacek reduziert die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus auf die Frage der individuellen Moral, appelliert an das alte Ideal der aristotelischen Mäßigung, um die individuelle Gier zu zähmen. Daraus leitet er auch seine Kritik am Wirtschaftswachstum um des Wachstums willen ab und greift damit scheinbar eine wichtige Determinante der heutigen Wirtschaftspolitik an. Aber hinter der mit Verve vorgetragenen These verbirgt sich die Verteidigung des Status quo: Man müsse weg vom «schuldenfinanzierten» Wachstum und statt dessen «Sparprogramme» auflegen. Den angehäuften Reichtum der Krisenprofiteure will Sedlacek nicht explizit zur Begleichung der Schuldenlast antasten – deren Gaben müssten auf Freiwilligkeit beruhen. So fügt Tomas Sedlacek zusammen, was zusammen gehört, weil es ohne Konsequenz bleibt: moralische Appelle und Almosen.
Etwa wenn sich Sedlacek abmüht, die heutige Wirtschaftspolitik aus dem Neuen Testament abzuleiten. 2008, während der Finanzkrise, sei der Staat als «Erlöser» der verschuldeten Banken aufgetreten. Das sei zwar nicht gerecht, aber richtig gewesen, sonst wäre das ganze Wirtschaftssystem zusammen gebrochen. Hier sei das neutestamentliche «Vergeben der Schuld» in der Praxis angewendet worden. Bankmanager und ihre politischen Freunde können sich bestätigt sehen, denn Sedlacek erteilt ihnen – und sich selbst – de facto Absolution.
Tomas Sedlacek ist ein Produkt der wirtschaftspolitischen Eliten Europas: Mit 24 Jahren war er Ratgeber des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, wenige Jahre später wurde er Berater des Finanzministers und war verantwortlich für Steuer-, Renten- und Gesundheitsreformen in Tschechien – in enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission. Heute soll er für den Premierminister Strategien gegen die Wirtschaftskrise entwickeln und ist gleichzeitig Chefvolkswirt der größten tschechischen Bank. Er treibt eine Wirtschaftspolitik mit voran, die eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt – ganz im Sinne neoliberaler Wirtschaftspolitik.
Tomas Sedlacek: Die Ökonomie von Gut und Böse. München: Hanser, 2012, 448 Seiten, ca. 25 Euro