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Kritik der Religion und Esoterik - Außer sich sein und zu sich kommen

„Progressives“ Marktgeschrei und billige Polemik liegen dem Autor Manuel Kellner ebenso fern wie opportunistische Zugeständnisse an einen Jahrtausende alten Gegner: die Religion. Bietet dieses Thema tatsächlich noch etwas Neues? Ja. Mehr noch: Es ist ein kleines Kunstwerk, das der Schmetterling Verlag da auf gut 200 Seiten gedruckt hat.

06.03.2011

Der Stil ist philosophisch, gelehrt und hochgebildet, aber dabei nicht lebensfern, belehrend oder professoral. Manuel Kellner ist ein eloquenter Mensch. Wie schon in seinem früheren Werk „Trotzkismus“ – das 2006 ebenfalls in der Einführungs-reihe theorie.org erschien – schafft es Kellner, eine hohe Dichte an Inhalten lesbar und nachvollziehbar auf den Punkt zu bringen.

Über den Hauptteil des Büchleins wird – unangekündigt – die Geistes- und Philosophiegeschichte des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit ausgebreitet, die bei Hegel, Feuerbach und Marx endet. Das ist nicht jedermanns und jederfrau Sache. Jedoch ist es eine Kunst, die Ideen von 800 Jahren so zusammenzufassen, dass das Ganze nicht zu weitschweifig wird, und dennoch das Wesentliche zu benennen. An der Geschichte werden vor allem zwei Dinge sichtbar.

Zum einen war eben die neuzeitliche Aufklärung bis hin zum wissenschaftlichen Sozialismus eines Marx stets nur in Auseinandersetzung mit bzw. Abgrenzung von der Theologie möglich, denn diese beherrschte das geistige Leben des Abendlandes. Zum anderen lässt sich die Philosophie von Marx überhaupt nur als historisches Produkt innerhalb einer Philosophiegeschichte verstehen, deren einzelne Momente immer um einen bestimmten Gegenstand kreisen. Als diesen Gegenstand erkennt die Philosophie, die nach Gott suchte, den Menschen.

Von Holbach zu Feuerbach

Wenn dann allerdings auch noch seitenweise die Religionskritik des etwas angestaubten Ludwig Feuerbach in langen Originalzitaten ausgewalzt wird, kommt das Büchlein nicht nur an einen toten Punkt; der Autor scheint vor allem sein persönliches Lieblingsthema zu verwursten und zitiert sich ausgiebig selbst. Jedoch hat auch dies eine gewisse Berechtigung: Schließlich ist der geistige Quantensprung von einem Holbach zu einem Feuerbach1, d. h. der von der frühbürgerlichen „Priestertrugtheorie“ zu einer wirklichen Erklärung des falschen Bewusstseins gerade für diejenigen Linken unerledigte Hausaufgabe, die überall bloß Verschwörungen und Verrat sehen, wenn das „revolutionäre Subjekt“ den marxistischen Aufklärungsversuchen wieder einmal trotzt.

Kellner wendet die einzig wirksame Methode der Kritik der Religion an: die Aufdeckung des Richtigen im Falschen; hierzu kann nur Philosophie dienen. Und er bezieht sich dankbarerweise auch auf Religionskritiker des 21. Jahrhunderts, wie Dawkins und Hitchens. Ebenso bleibt er nicht beim Christentum stehen, sondern wendet sich neben den monotheistischen Religionen auch gegen Buddhismus, Hinduismus und v. a. der neuen Religion zu: der Esoterik, die sich ja auch in links-alternativen Kreisen zunehmender Beliebtheit erfreut, mitsamt „New Age“-Ideologie.

Wegen handwerklicher Mängel reicht es leider nur für ein „gut“. Etwa werden induktive Schlüsse als „eigentliche“ Fehlschlüsse bezeichnet (während in Wahrheit jede Gültigkeit auf Kriterien angewiesen ist, die sie nicht selbst mitliefern kann); auch seltene Fremdwörter werden meist nicht erklärt und wenn doch, nicht immer richtig (s. die Ableitung von „holistisch“ aus „hyle“ statt aus „holos“, S. 185). Am besten ist das Buch daher in einem Lesekreis aufgehoben.

Die Nützlichkeits-Debatte

Was hat das alles mit realen politischen Bewegungen zu tun? Zunächst nichts. Kellner biedert sich keiner politischen Bewegung an, was in der Rezension seines Hausblattes, der SoZ (Sozialistische Zeitung, Okt. 2010), bereits für hochgezogene Augenbrauen gesorgt hat. Doch andernfalls könnte eben nicht mehr von einem Kunstwerk gesprochen werden. Denn wer sich in den Dienst von Bewegungen stellt, der begibt sich auf heiß umkämpftes Terrain. Denn dann darf man eben den Islam nur „halb“ kritisieren – schwimmt man sonst nicht auf der Welle der Islamophobie und der westlichen Kriegsrhetorik mit? Darf man dann das Judentum überhaupt kritisieren oder müsste nicht vielmehr zwischen den rechts-zionistischen FundamentalistInnen und den „progressiven“ Kibbuzim unterschieden werden? Und wie sieht es mit der Befreiungs-Theologie aus, müsste mensch als Internationalist nicht mit dieser Filiale Roms in Lateinamerika sympathisieren? Die Religion ist ein Kriegsgebiet, und wer hier politisiert, findet sich schnell auf eine Position festgenagelt, die er/sie nicht teilt – oder blickt am Ende gar nicht mehr durch. Kellner weiß um diese Gefahren einerseits und um die Notwendigkeit eines unabhängigen Standpunktes andererseits. Deshalb liegt die „Kritik der Religion und Esoterik“, als ein kleines Buch, das sich selbst genügt, im Großen und Ganzen richtig.

1    Gemeint sind Paul Th. d’Holbach, frz. Atheist d. 18. Jh. und der Hegel-Schüler Ludwig A. Feuerbach, religionskritischer Philosoph des 19. Jahrhunderts.

Jan Weiser

Manuel Kellner: Kritik der Religion und Esoterik. Außer sich sein und zu sich kommen.
Schmetterling Verlag 2010, 239 S., ca. € 11,-