Krimis: Aus dem Osten viel Neues
Ingrid Lawicka
24.04.2007
Viktoria Platowa gehört im deutschsprachigen Raum mit ihren
Kriminalromanen zu den etablierten russischen Autorinnen. Ihr neuestes
Werk „Der Schweif des Todes“ unterstreicht mit einer spannend
geschriebenen Geschichte voll prägnant gezeichneter Charaktere, dass
sie ihr literarisches Handwerk beherrscht. Nastja heißt die
unfreiwillige Heldin ihres neuen Krimis – eine Frau vom Lande, hart für
den Familienbetrieb ihres patriarchalen Mannes arbeitend, einfach, aber
schlau.
Der Tod ihres Bruders Kirill wirft Nastjas wohl geordnetes Leben völlig
aus der Bahn. Sie reist das erste Mal in ihrem Leben in die Großstadt
St. Petersburg, wo ihr Bruder lebte. An dessen Selbstmord kann und will
sie nicht glauben. Bilder geschwisterlicher Liebe und Zuneigung werden
heraufbeschworen, und dennoch muss sich Nastja eingestehen, dass sie
sich entfremdet hatten.
In der Wohnung des Toten stößt sie auf seltsame Zeichen: An die Wände
sind Hunderte von Marienkäfer gekritzelt, am Fenster stehen in
Spiegelschrift die Worte „good-bye ladybird“ geschrieben,
Einrichtungsgegenstände sind zerstört. Angeblich eine Tat im Wahn, die
im Selbstmord Kirills endete. Nastja stellt sich einfache Fragen und
ist mit den Antworten der Polizei nicht zufrieden. Ein Gespräch mit der
schönen und exzentrischen Geliebten ihres Bruders stachelt Nastjas
Neugier nur noch weiter an. Sie entdeckt einen an ihren Bruder
gerichteten Drohbrief und findet heraus, dass dieser sich als
Privatdetektiv verdingt hatte. Nastja schlüpft in seine Lederkluft und
heuert in der Agentur, in der ihr Bruder tätig war, an. Mit neuem
Outfit und wachsendem Selbstbewusstsein betört sie die Männer und
spinnt dabei langsam den Faden rückwärts zum – wir ahnten es bereits –
unfreiwilligen Tod ihres Bruders. Am Ende klärt Nastja nicht nur den
Mord auf. Sie selbst ist eine andere geworden, die sich nicht mehr für
Mann und Hof abzurackern gedenkt. Ein Krimi als Entwicklungsroman?
Als eine weitere russische „queen of crime“ darf Polina Daschkowa
bezeichnet werden. In „Für Nikita“, so der Titel ihres neuesten in
Taschenbuchformat erschienenen Romans, rankt sich die Geschichte in
einem kriminalistischen Verwirrspiel ganz klassisch um die Liebe.
Romantisch geht es bei Daschkowa aber höchstens in der Erinnerung zu.
Nika und Nikita waren in ihrer Jugend ein Liebespaar. Doch Nika gibt
schließlich dem mit Ausdauer um sie werbenden Grigori Petrowitsch das
Ja-Wort, der eine steile Karriere als Politiker verfolgt. Nun hat
Grigori ausgerechnet den Ex-Geliebten seiner Gattin, den Journalisten
Nikita angeheuert, um seine Biografie zu schreiben. Obwohl Nikita dem
Auftrag mit gesundem Misstrauen begegnet, ist er doch fasziniert von
seinem einstigen Rivalen. Bald aber fühlt er sich verfolgt und flüchtet
zu einer beinahe vergessenen Schulfreundin – einer dem Suff
verfallenen, warmherzigen Künstlerin. Doch Nikita sind nur wenige Tage
Sicherheit gewährt. Ein Brand zerstört die Wohnung, und man findet dort
eine verkohlte Männerleiche. Die Freundin und Wohnungsbesitzerin nimmt
daraufhin Kontakt mit Nika auf und die beiden machen sich daran, die
Umstände von Nikitas Tod zu klären. Neben der Biografie an Nikas Mann
arbeitete der Journalist an einer Geschichte über eine religiöse Sekte,
die ihre Mitglieder über Meditationskurse rekrutiert und manipuliert.
Er stieß bei seinen Recherchen auf eine streng bewachte Mine, in der
die Sektenmitglieder als kostenlose Arbeitskräfte dienen. Ein
Massengrab zeugt vom brutalen Umgang mit diesen Menschen. Nikita wurde
bei seinen Schnüffeleien beobachtet und anschließend verfolgt.
Die beiden Frauen reisen nach Moskau und rollen Nikitas letzte
Aktivitäten sukzessive auf. Sehr zu Grigoris Missfallen, der seine Frau
zuerst sanft, später immer drängender nach Hause zurückbeordert.
Schließlich kann sich Nika der Frage nicht mehr verwehren: Hat ihr Mann
seine Finger bei Nikitas Tod im Spiel? Noch einmal steht sie vor der
Entscheidung zwischen den beiden Männern.
Obwohl einige Handlungsstränge vorhersehbar sind, bleibt das Interesse
an der verflochtenen Geschichte rund um politische Macht gepaart mit
religiöser Manipulation erhalten.
„Dass Du nicht mehr lebst“ von Tatjana Ustinowa spielt ebenfalls im
Umfeld politischer Machtintrigen in Russland. Der Gouverneur der Region
Bleojarsk stirbt. Was zuerst nach Selbstmord aussieht, entpuppt sich
bald als Mord. Die Presse- und Informationschefin des Verstorbenen,
Inna Wassiljewna Seliwerstowa, wird von der Gattin des Gouverneurs zu
einem heimlichen Treffen gebeten. Der geheime Treffpunkt wird für die
Gouverneursgattin zur tödlichen Falle, und Inna gerät unter Verdacht,
ihren Chef und dessen Ehefrau ermordet zu haben. Der erfolgsgewohnten
Frau bleibt nur die Chance, auf eigene Faust zu recherchieren.
Verdächtig scheint ihr der spröde und eiskalte Geschäftsmann Alexander
Petrowitsch Jastrebow, der aus seinen politischen Ambitionen keinen
Hehl macht und diese mit knallharten Mitteln verfolgt. Da ist aber auch
die Familie des Gouverneurs – eine Tochter und ein Sohn, die bei
näherer Betrachtung den einen oder anderen Grund für einen Mord an
ihrem Vater hätten. Innas ablehnende Haltung gegenüber ihrem
Verdächtigen Jastrebow wird durch eine ihr unerklärliche sexuelle
Anziehungskraft, die er auf sie ausübt, erschüttert. Ihre
Nachforschungen bringen die versierte PR-Frau in so manche Bredouille.
Schließlich entdeckt sie einen schwarzen Fleck in der Vergangenheit des
Gouverneurs – einen bis dato unbekannten Sohn. Die Heldin gerät
natürlich in Lebensgefahr und – wie sollte es anders sein – kann den
Fall schließlich klären. Eine spannende Geschichte rund um eine
moderne, ehrgeizige und an kapitalistischen Wertvorstellungen
orientiert Frau, deren Karriere durch die Mordfälle plötzlich gebremst
wird. Nun ist sie gezwungen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Ein als Selbstmord getarnter Mord führt auch in Handlung von Elena
Topilskajas „Kalt ist der Tod“ ein. Heldin dieser Kriminalgeschichte
ist die Staatsanwältin Mascha Schwezowa, deren Figur angenehm
unpretenziös gezeichnet ist. Als allein erziehende Mutter eines
pubertierenden Sohnes, den sie liebevoll-kritisch „Grunzling“ nennt,
verkörpert sie den Typus einer soliden, pragmatischen Vertreterin der
Bürokratie.
Die berühmte Schauspielerin Tatjana Klimanowa sucht die Staatsanwältin
auf und berichtet über anonyme Anrufe. „Niemand liebt Dich. Du musst
sterben“, zitiert der Anrufer aus einem Film, in dem die Schauspielerin
die Hauptrolle verkörperte. Mascha sind die Hände gebunden – so lange
kein Verbrechen verübt wird, kann sie der verängstigten Schauspielerin
keine Hilfestellung leisten. Es kommt, wie es kommen muss: Die Aktrice
wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden und alle Indizien deuten auf
einen Selbstmord der psychisch labilen Frau. Bei Mascha klingeln die
Alarmglocken und Untersuchungen werden eingeleitet. Dabei stößt man auf
Widersprüche in der Indizienkette. Zur zentralen Figur der Ermittlungen
wird der Ehemann der Schauspielerin, ein prominenter Regisseur, der
seine Frau für eine jüngere Partnerin verlassen hat. Die Staatsanwältin
recherchiert im Künstler-Milieu. Die Aufklärung des Falles fordert
weitere Todesopfer. Der beachtenswerte Kriminalroman kombiniert
Spannung mit einer erfrischenden Portion an Humor in der Gestaltung der
Charaktere.
- Platowa, Viktoria: Der Schweif des Todes. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2006, ca 9 Euro.
- Daschkowa, Polina: Für Nikita. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2006. ca. 10 Euro.
- Ustinowa, Tatjana: Dass Du nicht mehr lebst. Rowolth Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. ca. 10 Euro.
- Topilskaja, Elena: Denn kalt ist der Tod. Goldmann Verlag, München 2006. ca. 10 Euro.