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Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas

"Die ethnische Säuberung Palästinas" ist vermutlich das Werk, das seinem Ruf in Israel den schwersten Schlag versetzt hat. Bereits in den 80er Jahren waren Ilan Pappe und andere israelische Historiker angeeckt, als sie zeigten, "wie falsch und absurd die israelische Behauptung war, die PalästinenserInnen hätten das Land ‘aus freien Stücken‘ verlassen". Doch Pappe ließ vor allem ein Tabu keine Ruhe, das er und seine Historikerkollegen bisher nicht angerührt hatten: die massiven ethnischen Säuberungen, die mit der Staatsgründung Israels einhergingen.

17.12.2007

Ilan Pappe, israelischer Historiker und Politikwissenschaftler, hat seiner Heimat fürs erste den Rücken gekehrt, "doch hoffentlich nicht für immer". In England, wo er derzeit lebt, forscht und unterrichtet, hofft er, "nicht wie ein Pestkranker gemieden zu werden", sagt Pappe in einem Interview mit "Il Manifesto".
Die ethnische Säuberung Palästinas ist vermutlich das Werk, das seinem Ruf in Israel den schwersten Schlag versetzt hat.
Bereits in den 80er Jahren waren Pappe und andere israelische Historiker angeeckt, als sie zeigten, "wie falsch und absurd die israelische Behauptung war, die Palästinenser hätten das Land ‘aus freien Stücken‘ verlassen". Doch Pappe ließ vor allem ein Tabu keine Ruhe, das er und seine Historikerkollegen bisher nicht angerührt hatten: die massiven ethnischen Säuberungen, die mit der Staatsgründung Israels einhergingen.
Anhand der Äußerungen und Handlungen führender Zionisten der Gründungsjahre deckt Pappe den Kerngedanken des zionistischen Konzepts auf. Demnach konnte und kann ein jüdischer Staat nur mit Gewalt durchgesetzt und aufrechterhalten werden. Das Muster der frühen Jahre wirkt fort, solange es tabuisiert bleibt, und verhindert weiterhin jede friedliche Lösung. Deshalb geht es Pappe darum, an die Stelle des von der israelischen Propaganda behaupteten Kriegsparadigmas das Paradigma der ethnischen Säuberung zu setzen: "Als die zionistische Bewegung ihren Nationalstaat gründete, war es keineswegs so, dass sie einen Krieg führte", bei dem es auch zu Vertreibungen kam. Im Gegenteil: "Das Hauptziel (war) die ethnische Säuberung ganz Palästinas."

David Ben Gurion, damals eine führende Persönlichkeit unter den jüdischen Einwanderern, sprach sich am 2. November 1947 vor der Exekutive der Jewish Agency unmissverständlich für ethnische Säuberungen aus; sie sollten gewährleisten, dass der neue Staat ausschließlich jüdisch sei. Am 3.Dezember desselben Jahres bedauerte er in einer Rede vor Mitgliedern der israelischen Arbeitspartei, dass es "in den Gebieten, die dem jüdischen Staat [von der UN] zugewiesen sind ... 40% Nichtjuden" gibt. Ein jüdischer Staat sei erst mit 80% Juden lebensfähig und stabil.
Am 10. März 1948 verabredeten Gurion und zehn weitere zivile und militärische Vertreter der zionistischen Bewegung einen Masterplan zur ethnischen Säuberung Palästinas. 531 Dörfer und 11 städtische Siedlungen wurden mit Waffengewalt geräumt, 800000 Palästinenser zur Flucht gezwungen, die Häuser samt Mobiliar dem Erdboden gleichgemacht und die Ruinen vermint, damit die Vertriebenen nicht zurückkehren konnten.

Wenn bis heute alle israelischen Regierungen jedes Gespräch über ein Rückkehrrecht unbedingt verhindern wollen, so steckt laut Pappe "eine tiefsitzende Angst vor einer Debatte über die Ereignisse von 1948" dahinter, "da Israels ‘Behandlung‘ der Palästinenser zwangsläufig beunruhigende Fragen nach der moralischen Legitimität des gesamten zionistischen Projekts aufwerfen würde". Solange diese Debatte nicht geführt wird, sind alle Friedensverhandlungen zum Scheitern verurteilt.

Pappe nennt es "Memorizid an der Nakba", wenn der Jewish National Fund (JNF) dafür sorgt, dass auf den Ruinen palästinensischer Dörfer Wälder und Erholungsgebiete entstehen, zu denen auf Websites und Tafeln am Wegesrand jeweils die kolonialistische Umdeutung von Landschaft und Geschichte mitgeliefert wird. Der Memorizid ist auch heute noch wirksam, wenn die täglichen Bombardierungen des dicht bevölkerten Gazastreifens oder die Ermordung von Terrorverdächtigen, einschließlich der dabei entstehenden "Kollateralschäden" stillschweigend hingenommen werden. Das sind nicht nur "interessante Parallelen", es sind erstaunlich und erschreckend wirksame Mechanismen der Geschichtsklitterung und Mythenbildung, die Fakten schaffen und zementieren helfen — nicht zuletzt die Mauer, ein monströses Bauwerk, das faktisch das Landraub- und Vertreibungsprojekt fortführt, das vor 60 Jahren begann. "Israel", heißt es im Epilog, "hat nie aufgehört, Palästinenser zu töten", als wären sie vogelfrei, ob in Kfar Quassim, wo am 29. Oktober 1959 israelische Truppen 49 EinwohnerInnen auf dem Heimweg von den Feldern ermordeten, 1982 in Sabra und Shatila, oder 2002 im Flüchtlingslager Jenin.

Sophia Deeg

Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas, Frankfurt: Zweitausendeins 2007, 416 S., ca. 24 Euro