Eine Brücke zwischen den Welten – Tariq Ali über seine Islam-Romane
"Die Geschichte der Entwicklung der islamischen Zivilisation ist eine der Adaption und der Vermischung. Der Islam hat die nichtislamische Welt beeinflusst oder wurde von dieser beeinflusst." In seinen vier Romanen über die muslimische Welt und Europa zweifelt Tariq Ali an dem Mythos, dass der Islam mit dem Westen unvereinbar sei. Hierüber sprach er mit Talat Ahmed.
24.04.2007
"Das von Politikern und Medien geschaffene dominierende Bild des Islam
ist eines von bärtigen Terroristen", sagt Tariq Ali. "Fast überall kann
man heutzutage hirnrissige rechte Romanautoren lesen, die vom Islam als
einer ‘bösen Religion‘ reden. Hiergegen anzukämpfen ist eine
ausgesprochen schwierige Aufgabe." Die Angriffe gegen Muslime
verbreiten den Mythos, dass die islamische Kultur rückständig und ihre
Politik despotisch sei. Diese Sichtweise wird sogar von manchen
Liberalen und Linken geteilt, die vom "islamischen Faschismus" sprechen
und den Islam als eine von Intoleranz charakterisierte Kultur sehen.
Für sie ist der Islam eine Religion, die sich entweder reformieren oder
verschwinden muss.
Bei Menschen mit muslimischem Hintergrund gibt es hauptsächlich zwei
Reaktionen – entweder den immer verzweifelteren Versuch, ihr
islamisches Erbe zu verleugnen, um Stereotypisierungen und Missbrauch
zu vermeiden oder eine engere Identifizierung mit Aspekten der
islamischen Kultur. Beide Reaktionen neigen dazu, eine uniforme Version
des Islam mit klaren Bezugsgrößen festzuschreiben, die jeder
alternativen Interpretation unzugänglich ist. Tariq Alis Romane
zweifeln diese Vorstellungen an.
Die bisher (auch auf deutsch) erschienenen ersten vier Romane des
Islamquintetts spielen in Europa und beschreiben islamische
Zivilisationen in unterschiedlichen Perioden der europäischen
Geschichte. Wenn man Im Schatten des Granatapfelbaums, Das Buch Saladin, Die steinerne Frau und Ein Sultan in Palermo
liest, ist der auffallendste Grundzug der Romane, dass sie in einer
Welt der Pluralität, des Kosmopolitismus, der Toleranz und des Strebens
nach Wissen spielen.
Ein Volk ohne Kultur?
Als ich Tariq Ali fragte, warum er sich entschlossen habe, Romane zu
schreiben, die auf dem Kontakt zwischen Christentum und islamischer
Zivilisation in Europa basieren, war seine Antwort aufschlussreich.
„1991 während des ersten Golfkriegs hörte ich irgendeinen Professor im
Fernsehen etwas sagen, das jetzt so allgemein verbreitet ist, dass
niemand mehr darüber spricht. Er sagte: «Die Araber sind ein Volk ohne
politische Kultur.» Das hat mich verärgert, denn ich wusste instinktiv,
dass dies nicht stimmt.“
„Zweitens begann ich mich selbst zu fragen, warum von allen drei großen
Weltreligionen – Christentum, Judentum und Islam – nur der Islam nichts
hatte, was wir als das Äquivalent der Reformation bezeichnen können,
jener Reformation, die die Macht der katholischen Hierarchie brach, die
in Europa bis zum 16.Jahrhundert herrschte. Es ist bekannt, dass ich
kein religiöser Mensch bin – ich bin als Atheist aufgewachsen und
bleibe es. Aber diese Frage erneuerte mein Interesse an der islamischen
Kultur und Geschichte. Ich wollte eine Antwort auf diese Frage, und ich
glaubte, die Antwort liege in Europa und nicht in der arabischen Welt.“
Seine Suche brachte Ali nach Spanien, zu den großen islamischen
Monumenten der Alhambra in Granada und den Palästen und
Befestigungsanlagen der muslimischen Könige von Sevilla und Córdoba. Er
ging nach Sizilien, um Palermo zu sehen, das von Reisenden als die
Stadt der hundert Moscheen beschrieben wurde, aber heute keine einzige
mehr besitzt. „Dann begann ich zu lesen und nachzudenken. Ich dachte,
der beste Weg, diese verschwundene Welt wiederzuentdecken, sei, ihre
letzten Jahre, ihren Abstieg und Fall, zu schildern. Ich hätte einfach
nur einen Essay schreiben können. Aber nachdem ich diese Monumente
gesehen hatte, spürte ich, dass ich die Menschen zurückbringen wollte,
die dort gelebt hatten. Zu jener Zeit war die Geschichte des Islam in
Südeuropa nicht sehr bekannt. In Schulgeschichtsbüchern gab es nur
einen Abschnitt: Die Muslime kamen nach Spanien; die Katholiken
vertrieben sie wieder – das war‘s.“
Kulturelle Vielfalt
Im Schatten des Granatapfelbaums
spielt im maurischen Spanien in der Zeit nach der „Wiedereroberung“
Granadas – „eine Zeit der katholischen Restauration, als Juden und
Muslime aus dem Land vertrieben wurden“, erklärt Ali. Die Geschichte
beginnt mit dem berüchtigten „Scheiterhaufen der Bücher“, als in
Granada auf Geheiß des Erzbischofs Jiménez de Cisneros ganze
Büchersammlungen über Mathematik, Naturwissenschaften, Astronomie,
Philosophie, Medizin und handgefertigte Ausgaben des Korans verbrannt
wurden. Dem Roman gelingt es, symbolisch den einzigartigen Beitrag der
arabischen Kultur und Gelehrsamkeit zu Europa wie auch deren Zerstörung
durch die Hand des "zivilisierten" Christentums aufzuzeigen. "Das Buch
wurde in Spanien gut aufgenommen, nicht nur von Buchhändlern und
Verlagsleuten, sondern auch von arabischen Migranten, die sich dafür
bedankt haben, dass ich die Geschichte erzählt habe", sagt Ali.
Der zweite Roman, Das Buch Saladin,
spielt zur Zeit der Herrschaft des kurdischen Führers Saladin gegen
Ende des 12.Jahrhunderts. Saladin war Sultan von Ägypten und Syrien.
Ihm gelang es, die Araber gegen die Plünderungen durch die christlichen
Kreuzzüge zu vereinigen. Die Geschichte von Saladin wird von seinem
Hofschreiber Ibn Yacub, einem Juden, erzählt. "Die Entscheidung, aus
dem Chronisten einen jüdischen Charakter zu machen, war bedeutsam, es
gab einiges Erstaunen in der arabischen Welt", erinnert sich Ali.
Aber seine Überlegung ist einfach. Der jüdische Erzähler spiegelt die
Geschichte jener Zeit wider, sagt Ali: "Es gab eine große Zahl von
Juden an allen arabischen Höfen, und nach einer Studie waren 70% der
Ratgeber Saladins Juden. Sein Leibarzt war Jude. Ein Grund, diese
Geschichte wiederzubeleben, ist es, zu zeigen, das es zu jener Zeit
keine grundlegende Feindschaft zwischen Islam und Judentum gab. Die
Feindschaft begann erst im 19.Jahrhundert mit dem Hereinströmen von
jüdischen Siedlern nach Palästina."
Tariq Ali zeigt, dass Saladin, als er Jerusalem von den Kreuzrittern
zurückerobert hatte, eine Erklärung veröffentlichte, in der bestimmt
wurde, dass die Stadt für Menschen aller Glaubensrichtungen offen
bleiben und staatliche Gelder für den Wiederaufbau der Synagogen
bereitgestellt werden sollten. Das Buch Saladin ist der einzige Roman von Ali, der ins Hebräische übersetzt und in Israel veröffentlicht wurde.
Sowohl Im Schatten des Granatapfelbaums als auch Das Buch Saladin
schildern eine Gesellschaft, "die von kultureller Vielfalt
gekennzeichnet war, einer Vermischung von religiösen und kulturellen
Praktiken, die durch einen intoleranten westlichen Glauben
auseinandergerissen wurden. Das bedeutet nicht, dass es in diesen
Gesellschaften keine Spannungen gab oder dass sie harmonisch waren.
Sowohl in der arabischen Welt als auch im islamischen Spanien gab es
Zusammenstöße zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, aber sie
geschahen nicht systematisch, wie manche Kommentatoren glauben."
Verfall und Dekadenz
Alis dritter Roman, Die steinerne Frau,
spielt Ende des 19. Jahrhunderts in der Verfallszeit des Osmanischen
Reiches. Dies verschiebt den Fokus auf einen ganz anderen
Zeitabschnitt, der von Verfall und Dekadenz gekennzeichnet war, von
korrupten Beamten und Herrscherhöfen. Die Familie von Iskander Pascha
verbringt einen Urlaub auf der Mittelmeerinsel Marmara, und hier werden
Liebesaffären, kleine Intrigen und persönliche Eifersüchteleien vor dem
Hintergrund der politischen und sozialen Gleichgültigkeit der
herrschenden Dynastie gezeigt. "Mein Roman spielt an einem einzigen Ort
und von hier kann man die Degeneration dieser alten osmanischen
Herrscherfamilie sehen. In vielerlei Hinsicht spiegelt diese den
Zerfall ihres Reiches wider."
Die Wiedereroberung Spaniens durch die katholische Kirche zwang
Tausende von Muslimen, zum Christentum zu konvertieren, und jene, die
versuchten, zum Islam zurückzukehren, wurden mit dem Tod bedroht. Eine
verbreitete Hoffnung unter den Muslimen in Spanien war, dass die
Schiffe des Osmanischen Reiches ihnen zu Hilfe kommen würden, aber die
Flotte lief niemals aus. "Das Osmanische Reich verhielt sich wie alle
Reiche dieser Welt gemäß den eigenen Interessen. Es war nicht
großzügig; es gab keine Pläne, den Weltislam zu retten", sagt Ali.
Das Osmanische Reich vermochte auch nicht, angemessen auf die
Entwicklung des neuen ökonomischen Systems zu reagieren, das sich
anschickte die Welt zu beherrschen. "Die Periode des Osmanischen
Reiches fiel mit dem Wachstum des Kapitalismus in Westeuropa zusammen,
aber die Osmanen waren davon komplett abgeschnitten. Der Handel war
hoch entwickelt, aber der Übergang vom Handelskapital zum Kapitalismus
fand in den osmanischen Gebieten wegen der Konzentration der
wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Macht in den
Händen einer Familie niemals statt."
Willensstarke Frauen
In allen vier Romanen werden Frauen als willensstarke und sehr
bestimmende Persönlichkeiten porträtiert. Dies gilt insbesondere für
das vierte Buch, Der Sultan von Palermo,
das das Leben von Mohammed al Idrissi im 12.Jahrhundert beschreibt.
Dieser ist ein Hofkartograf, ein Geograf und ein Mann der Medizin und
der Gelehrsamkeit. Es ist eine Welt der Wissenschaft, der Philosophie
und des rationalen Denkens.
Die Eifersüchteleien, von denen er umgeben ist, haben ihre Ursache in
dem sozialen und politischen Prestige, das al Idrissi als Muslim an
einem christlichen Hof genießt, wo neidische katholische Priester um
ihre eigene Position am Hof fürchten. Hier spielen Frauen eine
bedeutende Rolle. Sie bestimmen die Ereignisse und verfolgen ihre
eigenen Interessen mit größter Zielstrebigkeit, indem sie Kontrolle
über die Männer ausüben.
"Was über die Zeit, in der meine Romane spielen, geschrieben worden
ist, weist darauf hin, dass Frauen in islamischen Gesellschaften starke
Individuen waren, auch wenn ihnen nicht erlaubt war, den Staat zu
regieren", sagt Ali. "Wir wissen, dass es sowohl im Abassidenkalifat in
Bagdad als auch im indischen Mogulreich viele außerordentlich mächtige
Königinnen und Prinzessinnen gab. Im Osmanischen Reich regierten die
Frauen oft hinter den Kulissen. In den Romanen möchte ich auf diese
Weise diesen rassistischen Mythos brechen, der muslimische Frauen immer
nur als Opfer sieht."
Die Frauen der herrschenden Klasse waren nicht nur passive Opfer des
Harems, sondern auch aktive Anstifterinnen sexueller Begegnungen.
Trotzdem zeigen die Romane diese Gesellschaften nicht als aufgeklärt in
dem Sinne, dass die Frauen befreit gewesen seien. Ali macht klar, dass
in allen mittelalterlichen Gesellschaften, seien sie christlich,
jüdisch oder islamisch, Frauen als Menschen zweiter Klasse mit sehr
wenigen Rechten behandelt wurden. Er ist der Auffassung, dass das
europäische Mittelalter, als der Islam den größten Teil des
Mittelmeerraums beherrschte, der Höhepunkt der kulturellen Entwicklung
des Islam war. Und ohne Kontakt zur islamischen Welt hätte sich Europa
nicht in der Weise entwickeln können, wie es dies getan hat.
"Die Gelehrsamkeit kam mit der islamischen Zivilisation. Diese
Zivilisation wurde eine Verbindung, eine Brücke zwischen der alten und
der heutigen Welt. In Toledo errichteten die spanischen Muslime eine
Sprachschule, in der alle Haupttexte aus dem Griechischen und
Lateinischen ins Arabische übersetzt wurden, wodurch sie in Europa
verfügbar wurden. Niemand bestreitet die Tatsache, dass es die
islamische und arabische Gelehrsamkeit in der Mathematik, Astronomie
und Medizin war, die diese Disziplinen voran gebracht hat. Dies sollte
im Geschichtsunterricht an den Schulen gelehrt werden – das wäre ein
viel besserer Weg, dem antiislamischen Rassismus zu begegnen als
konfessionelle Schulen."
Tariq Alis Romane sind eine vergnügliche Geschichtsstunde und auch eine
Herausforderung der uns derzeit umgebenden Welle von Bigotterie. Der
letzte Roman des Quintetts wird in der modernen Welt nach dem
11.September spielen. Er wird die Frage aufnehmen, warum Religion zu
Beginn des 21.Jahrhunderts immer noch in der Lage ist, das Leben von
Menschen zu beherrschen und warum Millionen von Menschen sich zu ihr
hingezogen fühlen.
Bücher von Tariq Ali: Im Schatten des Granatapfelbaums, Heyne-Verlag, 285 S. brosch., ca 10 Euro Das Buch Saladin, Diederichs, 400 S, ca. 10 Euro Die steinerne Frau, Heyne-Verlag, brosch., ca. 20 Euro Ein Sultan in Palermo, Diederichs, 320 S., ca 24 Euro Bush in Babylon. Die Re-Koloniasierung des Irak, Heyne-Verlag, 319 S., ca. 10 Euro |