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Die Uhr tickt

Kurt Hofmann

Spät, aber doch: Buchtipps vor Weihnachten

17.12.2018

Noch eine Woche bis zum vorgeblichen Fest der Feste: ist der geschenktaugliche Lesestoff schon gefunden? Die Uhr tickt…

Anbei, in Wiederaufnahme einer Tradition der Print-Ausgabe von „Die Linke“ zwei Buchtipps in „letzter Minute“.

In Zeiten, da Zeichen setzen bedeutet, auf wenige beschränkt zu sein, dabei beschränkt zu sein, selbst die kargen Worte nicht zu finden, dafür aber geliked zu werden, ist das Lesen zusammenhängender Texte fast schon ein subversiver Akt.

Engagierte BuchhändlerInnen, schon gar eine so leidenschaftliche wie Petra Hartlieb, versuchen stets, derlei „Verschwörungen“ anzuzetteln… Schon in „Meine wundervolle Buchhandlung“ hat sie über ihre Passion erzählt, dem Geschriebenen Gehör zu verschaffen. Weihnachten soll ja per frommer Definition ein Fest der Liebe sein, ein Fest der Bücher ist es allemal. Und wie ist „Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung“ (DuMont 2018)? Schon Wochen, bevor das Weihnachtsgeschäft beginnt, haben Petra Hartlieb und die Ihren, eine verschworene Crew, die abseits der Betriebszeiten auf den anderswo obligaten Betriebsausflug verzichtet, lieber gemeinsam ins Theater geht, darüber nachgedacht, was an Wünschen zur Zeit, in der Wünsche Hochkonjunktur haben, auf sie „zukommt“.

Und in einer Buchhandlung, die noch diese Bezeichnung verdient, wie in der „wundervollen Buchhandlung“, unterscheiden sich die Bedürfnisse von KundInnen, die darauf vertrauen, was ihnen empfohlen wird (weil sie noch nie enttäuscht wurden) bisweilen von den Mainstream-Wünschen. Wie sonst könnte sonst beim Vertreter: “Wir brauchen unbedingt bis morgen noch mal fünfzig Leky!“(Hartlieb/Weihnachten in…/S. 75) urgiert werden. Leky – geht’s da um die bulgarische Währung (falsch geschrieben)? Nein, es handelt sich vielmehr um die Autorin Mariana Leky und deren Buch „Was man von hier aus sehen kann“. Anderswo ein Insidertipp, hat es sich in der „wundervollen Buchhandlung“ durch Mundpropaganda weiterverbreitet. Und das offenbar einen Virus gleich (ein papierener Viris schadet ja nicht – im Gegenteil!) Die ersten Infizierten waren die BuchhändlerInnen selbst: „Als es im Sommer erschienen ist, haben wir uns gegenseitig angesteckt, wie so oft. Die eine hat es gelesen, fand die richtigen Worte, dann lasen es noch ein paar KollegInnen und fanden es auch schön. Es kamen die ersten KundInnen, denen man es empfohlen hatte, nach drei Tagen wieder, sagten mit verklärtem Blick: „Ich will wieder so etwas, genau so etwas, kauften es noch Mal für eine Freundin…“ (Hartlieb / Weihnachten in…/S. 76). So funktioniert das in der „wunderbaren Buchhandlung“ und deshalb wissen deren KundInnen auch zu Weihnachten Bescheid über das Lesenswerte…

Wer noch kein (Buch-)Geschenk für Weihnachten hat: Petra Hartliebs „Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung“ ist ein Geschenk für alle, die das Lesen lieben.

1968: Das war 2018 eine der „magischen“ Jahreszahlen, und die Erinnerung daran hatte, anders als die unzweideutige an 1938, vielfach verfälschte Züge. Die DenunziatorInnen, ob sie nun aus der bürgerlichen Ecke oder aus jener der Mea-Culpa-Linken kamen, beschworen unselige Folgewirkungen dieses kurzen, aber bewegten Frühlings der Aufmüpfigkeit bis in gegenwärtige Miseren herauf, „68“ hätte eine böse Saat gelegt, für was auch immer.

Wie viel Spaß die „68-er“ hatten, deren politische Forderungen immer auch mit der nach dem anderen Leben abseits des bürgerlichen Miefs verbunden waren, das erzählt Anna Wiazemsky in „Paris, Mai `68“ (Wagenbach), einem „Erinnerungsroman“. Die Erinnerung Wiazemskys gilt ihrer Zeit mit Jean-Luc Godard ebenso wie den bewegten 68-er Jahren.

Da ruft einer auf einer Demo in Paris: „De Gaulle, Vampir!“ und Hunderte wiederholen seine Parole. Anna hat Jean-Luc’s Stimme erkannt und fragt ihn: Aber wieso ‚Vampir’?“ Er antwortet: „Der Zug ging an einem Kino vorbei, das einen Vampirfilm auf dem Programm hatte“ (Wiazemsky/Paris,…,S.95)… Auch Wiazemskys Großvater Francois Mauriac ist in „68“ involviert, doch auf der anderen, staatstreuen Seite. Godard schreibt auf ein Flugblatt, das Anna Wiazemsky ihrem Großvater übergeben soll: „Schämen sie sich nicht? In ihrem Alter und dem Tod so nahe? (Wiazemsky/Paris,…, S.96). Anna beabsichtigt, das Flugblatt verschwinden zu lassen, doch Godard ruft Mauriac an und fragt ihn, ob er denn auch gelesen habe, was er ihm geschrieben habe… Trotzdem will Godard tags darauf den erkrankten Mauriac, wie 48 Stunden zuvor vereinbart, ins Spital fahren, und steht naturgemäß vor verschlossenen Türen… 1968 möchte Godard nur noch „revolutionäre“ Filme drehen, doch den aufrechten Vertrag für „One Plus One“ mit den Stones kann er nicht kündigen, schließlich will er es dann auch nicht, denn dafür versteht man einander zu gut: „Während eines (…) sich in die Länge ziehenden Versuchs stellte Keith Richards seine Gitarre zur Seite, nahm Anita Pallenberg bei der Hand und zog sie hinter eine spanische Wand. (…) Mick Jagger ging zu Jean-Luc. „Sie vögeln, also warten wir“, sagte er komplizenhaft. – „Na, dann warten wir auch“, antwortete Jean-Luc und unterbrach die Filmaufnahme,…“…

Wiazemskys Beziehung mit Godard scheitert, weil dessen theoretische Ansprüche an ein Zusammenleben nicht der täglichen Praxis, immer wieder mal vor „68“ anzusiedeln, standhält. Doch auch die junge Frau im Minirock und auf Rollschuhen entspricht kaum den „revolutionären“ Ansprüchen. Aber sie ist mit dabei, wenn es darum geht, auf der Straße den repressiven Staat herauszufordern, und sie hat, vor allem das vermittelt „Paris, Mai ’68“, Spaß daran, ebenso wie das bunte Völkchen ihrer und Jean-Luc’s Mitverschworenen. Was die Dogmatischen nie begreifen werden: wenn sich was ändern soll, dann nicht durch raschelnde Papiere. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.