David Peace: GB 84
April 2013: Jenseits der bewachten Begräbnisfeierlichkeiten knallen die Sektkorken, ausgelassene Jugendliche machen Straßenparty anlässlich des Ablebens vom Margret Thatcher. Die Nachrichtenagentur DPA/AFP zitiert einen ehemaligen Bergarbeiter aus Nordengland: «Ich bin hier, um ihre Geburt zu betrauern, weil sie für das System steht, unter dem wir alle noch immer leiden.»
30.04.2014
April 2013: Jenseits der bewachten Begräbnisfeierlichkeiten knallen die Sektkorken, ausgelassene Jugendliche machen Straßenparty anlässlich des Ablebens vom Margret Thatcher. Die Nachrichtenagentur DPA/AFP zitiert einen ehemaligen Bergarbeiter aus Nordengland: «Ich bin hier, um ihre Geburt zu betrauern, weil sie für das System steht, unter dem wir alle noch immer leiden.» Im März 1984 begann der Bergarbeiterstreik in England, der genau ein Jahr dauerte und mit der schwersten Niederlage der britischen Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg endete, die militanten Strömungen in den Gewerkschaften bis zu ihrer Unkenntlichkeit schwächte und dem Aufstieg von New Labour den Weg bereitete.
30 Jahre später erscheint der Roman von David Peace, GB 84, auf Deutsch in der exzellenten Übersetzung von Peter Torberg. Staunend liest man und denkt: Was für ein Werk.
Wie in allen Werken von Peace wird einem der Zugang zur Geschichte und den Geschichten nicht leicht gemacht. Mit unterschiedlichen Schrifttypen versehen, wird in 52 Kapiteln, die die Streikwochen abbilden, das Leben und Kämpfen eines einfachen Arbeiters und eines Gewerkschafters erzählt (präsentiert in nahezu unerträglich kleinen Schrifttypen). Daneben gibt es klassische Erzählweisen, die durch stakkatohafte Satzfetzen aufgebrochen werden – nichts, um sich abends vor dem Zubettgehen zu entspannen. Schon David Peaces Buch Yorkshire Killer-Quartett und die beiden Romane aus dem Nachkriegstokyo waren düster, grausam und hoffnungslos; in diese Trostlosigkeit führt uns nun sein Roman um den Bergarbeiterstreik.
Margret Thatcher will den Inneren Feind in Gestalt der Gewerkschaften schlagen und bedient sich aller zur Verfügung stehenden Mittel, sie macht Krieg. Die Polizeigewalt nimmt ungekannte Ausmaße an, aber neben ihren Prügelorgien werden auch Einflussagenten der Geheimdienste tätig, um den Widerstand gegen die drohenden Zechenschließungen zu zerschlagen. Auch die Kumpel sind keine Heroen, schon zu Beginn der Aktionen knallen sie sich die Birne mit Alkohol voll und folgen sehr vertrauensselig den Strategien von Arthur Scargill. Wie sehr in ihnen das Menschliche wohnt, beschreibt Peace kurz und knapp am ersten Toten des Streiks: Der hatte einem verletzten Streikbrecher Erste Hilfe geleistet, bevor er an der Front umgebracht wurde.
Thatchers Mann ist Sir Stephen Sweet, genannt «der Jude», der mit dem Mann fürs Grobe, Neil Fontaine, immer vor Ort ist, sich wie ein Schatten unter den Streikenden bewegt und plant, intrigiert, kauft. Auf der anderen Seite kämpft Terry Winter, geschwächt durch eine Beziehung zu einer MI5-Agentin, um die Absicherung der Streikkasse, gegen Überläufer und den Erhalt der Streikfront. Mit dem Auftauchen von David Johnson, beauftragt vom Geheimdienst, eskaliert die Situation.
Udo Bonn (aus: SOZ)
David Peace: GB 84
München: Liebeskind, 2014. 536 S., ca. 25 Euro