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Stieg Larssons verschwundenes Testament

Die besten Krimis schreibt das Leben. Vier Jahre nach dem Tod von Stieg Larsson (2004), dessen Krimis posthum die Bestsellerlisten stürmen, berichtete das schwedische Fernsehen über ein bislang unbekanntes Testament aus dem Jahre 1977. In ihm vererbt Stieg Larsson all sein „Vermögen in reinem Geld” der Ortsgruppe Umeå der schwedischen Sektion der 4. Internationale.

22.02.2009

Das Testament wirft ein Schlaglicht auf weithin unbekannte Facetten des so vielfältigen und intensiven Lebens von Stieg Larsson. In den wilden 70er Jahren war er Mitglied der schwedischen Sektion der 4. Internationale, die damals noch Kommunistiska Arbetarförbundet (KAF — Kommunistischer Arbeiterbund) hieß. Man demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und Atomkraft, gründete Ökologiegruppen (darunter die Freunde der Erde, in Deutschland vertreten durch den BUND) und organisierte Krankenschwestern gewerkschaftlich.
Nach seinem Wehrdienst, bei dem er zum Präzisionsschützen ausgebildet worden war, ging er 1977 nach Eritrea, wo er bei der Ausbildung der Guerilla helfen wollte. Unmittelbar vor seiner Abreise verfasste er ein Testament zugunsten seiner KAF-Ortsgruppe in Umeå, das später in Vergessenheit geriet.
Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Stockholm nieder, arbeitete zunächst bei der Post und versuchte sich nebenbei als freier Journalist und Schriftsteller. 1979 nahm er eine Stelle bei der Nachrichtenagentur Tidningarnas Telegrambyrå an, wo er für Grafiken zuständig war, aber auch Features schrieb und sich um die Nutzung des Internets bemühte.
Politisch konzentrierte er sich auf antirassistische und antifaschistische Arbeit und wurde zum anerkannten Experten für Rechtsextremismus in Schweden. Seit 1982 schrieb er Artikel für die antifaschistische britische Zeitschrift Searchlight. Mitte der 80er Jahre war er aktiv beim Aufbau von Stoppa Rasismen. Ende der 80er Jahre trat er aus der Sektion aus, die sich 1982 in Socialistiska Partiet (SP) umbenannt hatte. Entgegen anderslautenden Gerüchten war er übrigens (leider) nie Redakteur oder gar Herausgeber ihrer Theoriezeitschrift.
Er blieb der 4. Internationale trotz inhaltlicher Differenzen, vor allem in der Bewertung der osteuropäischen Gesellschaften, freundschaftlich verbunden und war häufiger Autor der Wochenzeitung ihrer schwedischen Sektion, Internationalen. 1990 konnte er für den Sammelband über den Aufschwung des Rechtsextremismus in Europa Sie sind wieder da (Neuer ISP Verlag) gewonnen werden — es war praktisch seine erste Buchveröffentlichung. Zusammen mit Anne-Lena Lodenius verfasste er anschließend das Buch Extremhögern (1991, 1994) und gemeinsam mit Mikael Ekman Sverigedemokraterna — den nationella rörelsen (2001), jeweils Bestandsaufnahmen der extremen und populistischen Rechten in Schweden.
Nachdem Neonazis sieben Menschen umgebracht hatten, gründete er 1995 die antirassistische Stiftung Expo. Seit 1999 war er hauptamtlicher Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift.

"Pippi Langstrumpf"


Neben seiner Arbeit bei Expo begann er 2001 abends „zur Entspannung” Krimis zu schreiben: „Ich kam auf die Idee mit Pippi Langstrumpf. Was wäre aus ihr geworden? Wie wäre sie heute als Erwachsene? Wie würde man sie nennen? Soziopath? Lieschen Dampf in allen Gassen? Sie sieht die Gesellschaft anders als andere. Ich schuf sie als Lisbeth Salander, 25 Jahre alt, von enormer Extrovertiertheit. Sie nimmt niemanden wahr, hat keinerlei soziale Kompetenz. So brauchte man ein Gegengewicht zu ihr. Das wurde Mikael ‘Kalle‘ Blomkvist, ein 45-jähriger Journalist. Ein Bruder Tüchtig, der bei einer eigenen Zeitung mit Namen Millennium arbeitet. Die Handlung kreist um die Zeitungsredaktion, aber auch um Lisbeth Salander, die wenig von ihrem eigenen Leben hat."
Stieg erlebte den großen Erfolg seiner Bücher nicht mehr. Nach der Rückkehr von der Mittagspause erlitt er im Büro von Expo einen Herzinfarkt und starb am 9.November 2004 im Alter von nur 50 Jahren. Alle drei Bücher der Millennium-Reihe, die er vor seinem Tod noch fertiggestellt hat, erhielten posthum hohe Auszeichnungen, darunter zweimal den skandinavischen Krimipreis Glasnyckeln, und erlebten hohe Auflagen — weltweit 6 Millionen. Die Rechte wurden in dreißig Länder verkauft; eine Verfilmung ist in Arbeit. Davon müssten dem Autor schätzungsweise 100 Millionen Kronen (etwa 10 Millionen Euro) zufallen.
Erbstreit

Mit seiner Lebensgefährtin Eva Gabrielsson, die er mit 18 Jahren im Vietnamkomitee von Umeå kennengelernt hatte, lebte er seit dreißig Jahren zusammen, war aber aus Sicherheitsgründen nicht mit ihr verheiratet, da er wegen seiner Arbeit häufig von Nazis bedroht wurde und zeitweise im Untergrund lebte.
Da es auch kein Testament gab, fiel Stiegs gesamtes Vermögen an seinen Vater und seinen Bruder, mit denen er zu Lebzeiten kaum Kontakt hatte. Eva durfte gerade das behalten, was sich in der Wohnung befand. Ihr drohte die Familie sogar mit Rauswurf, wenn sie nicht den Laptop mit dem begonnenen Manuskript des vierten Bandes herausrücke. Sie erwiderte, man könne die Serie nicht fortsetzen, ebenso wenig wie man einen angefangenen Picasso zu Ende malen könne. Sie wolle kein Geld, aber die Verwertungsrechte an den Büchern, an deren Entstehung sie durch viele Gespräche entscheidend beteiligt war. Bei den Sachbüchern gibt es inzwischen ernste Schwierigkeiten, weil Aktualisierungen nur noch mit Zustimmung der Familie möglich sind.
Bei der Durchsicht von Stiegs Hinterlassenschaften stieß Eva dann auf das 1977 von Stieg verfasste Testament: „Ich bin ja kaum ein reicher Mann, aber mein Vermögen in reinem Geld (und in dem Punkt bin ich sehr bestimmt) soll der Umeå-Ortsgruppe des Kommunistischen Arbeiterbunds zufallen.” Sie ließ es unbeachtet, weil es nach schwedischem Recht ohne notarielle Beglaubigung unwirksam ist.
Das schwedische TV- Nachrichtenmagazin Uppdrag granskning bekam von der Sache Wind und machte es als große Sensation auf, die gehörig durch den schwedischen und teilweise sogar internationalen Blätterwald wirbelte. Die Familie kam unter Druck, wurde auf der Straße beschimpft und deutete schließlich an, Stiegs Willen vielleicht doch freiwillig folgen zu wollen — womit sie meinte, wie sie später präzisierte, dass sie Eva auch das Wenige, was sie bekommen hatte, noch nehmen und es „den Kommunisten” geben wollte.
Die Ortsgruppe Umeå der schwedischen Sektion, die heute Socialistiska Partiet (SP) heißt, erklärte dazu:
"Unsere Partei beteiligt sich an keinem Erbstreit und feilscht nicht um Geld. Wir haben keine Beziehung zu irgendjemandem persönlich und wollen niemandem schaden. Wir halten an unseren Idealen der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung fest, die auch Stieg Larssons Ideale waren. Wir meinen, dass Stiegs lebenslange Beziehung mit Eva Gabrielsson respektiert werden sollte. Die unzeitgemäße schwedische Gesetzgebung, welche die Ehe über andere Paarbeziehungen — seien sie gleich- oder gemischtgeschlechtlich — stellt, muss von Grund auf reformiert werden. Menschen sollen nach eigener Entscheidung zusammenleben können, ohne Unsicherheit und Rechtlosigkeit zu riskieren. Wir bewahren Stiegs Erinnerung am besten, indem wir den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus fortsetzen, für eine Gesellschaft, die gleichen Wert und gleiche Rechte aller Menschen respektiert."

Björn Mertens
(Quelle: INPREKORR)

 

Romane von Stieg Larsson (Die Millennium-Trilogie):

Verblendung, München: Heyne, 2006 [Originaltitel: Män som hatar kvinnor (Männer, die Frauen hassen)]
Verdammnis, München: Heyne, 2007 [Originaltitel: Flickan som lekte med elden (Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte)]
Vergebung, München: Heyne, 2008 [Originaltitel: Luftslottet som sprängdes (Das Luftschloss, das gesprengt wurde)]