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Bücher zur ungarischen Revolution

24.04.2007

Facettenreiche Schilderung der ungarischen Ereignisse

50 Jahre nach der ungarischen Revolution sind einige neue Publikationen hierzu erschienen. Paul Lendvai gelingt in "Der Ungarn- Aufstand 1956 - Eine Revolution und ihre Folgen" eine packende und facettenreiche Schilderung der ungarischen Ereignisse. Positiv hervorzuheben ist seine Interpretation der Ereignisse als Revolution und nicht als Volkserhebung oder Volksaufstand, wie es in vielen bürgerlichen Publikationen üblich war. In Anlehnung an Miklos Molnár spricht er von einer siegreichen Niederlage. Von einer siegreichen Revolution kann gesprochen werden, weil die bestehende Regierung durch eine Massenbewegung gestürzt und eine Regierung erzwungen wurde, welche das Vertrauen der maßgeblichen Organe der Revolution genoß. Verloren wurde der Krieg gegen die Sowjetunion.
Die Diskussionen in Moskau, welche der Entscheidung zur zweiten militärischen Intervention vorangingen, sind heute quellenmäßig gut erschlossen. Lendvai eröffnet diese erstmals dem deutschsprachigen Publikum. Daher fiel auch etwas Licht auf das plötzliche Verschwinden Kádárs und seine politische Kehrtwende. Überdies geht Lendvai auch auf die ungarischen Arbeiterräte ein, wenngleich er ihre zentrale Bedeutung herausgearbeitet hat. Schließlich war es der sich formierende Wille dieser Arbeiter- und Revolutionsräte auf die Imre Nagy Rücksicht nehmen mußte.
Ebenso positiv hebt sich seine Kritik und Verurteilung der doppelzüngigen Politik Englands von vielen bürgerlichen Darstellungen ab, wenngleich auch sie an der Oberfläche haften bleibt. Daß während des Höhepunkts der Revolution der hauptsächlich von England forcierte Suezkrieg begann, ist eine der Merkwürdigkeiten dieser Zeit.
Lendvai schreibt mit der Leidenschaft des Teilnehmers, trotzdem oder vielleicht deswegen ist ihm ein Buch gelungen, das den Leser in diese spannende Zeit führt. 


Paul Lendvai: Der Ungarn- Aufstand 1956. Eine Revolution und ihre Folgen.
München, Bertelsmann 2006, 320 Seiten.



Vom Parteisoldaten zum Märtyrer

János M. Rainer ist Direktor des Instituts für die geschichte der ungarischen Revolution 1956 in Budapest und hat in jahrelanger Recherchearbeit die überfällige Nagy- Biographie geschrieben. Seine zweibändiges, über 1000 Seiten starkes Werk, hat eine Zusammenfassung erfahren, die nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Über das Leben und das politische Denken Imre Nagys ist außerhalb Ungarns nur wenig bekannt. So gab sein Verhalten in den entscheidenen Tagen der Revolution zu kontreversen Interpretationen Anlaß. Rainer zeigt, welche Kräfte und Überlegungen hinter seinen zögerlichen Entscheidungen standen, wie schwer er sich zu der Erkenntnis durchrang, daß die Revolution auch eine Revolution gegen seine Partei war. Maßgeblichen Anteil hieran hatte der Druck und die Präsenz der Arbeiterräte mit ihren Forderungen nach Abzug der russischen Truppen, dem Austritt aus dem Warschauer Pakt und die Forderung nach allgemeinen Wahlen. In seiner Analyse beleuchtet Rainer auch die Zerrissenheit innerhalb der Moskauer Führung. Angesichts dieser nun offenbaren Uneinigkeit erscheint die Hoffnung, Moskau – insbesondere Chruschtschow - hätte ein unabhängiges Ungarn toleriert, in einem anderen Licht.  Aber auch das Leben und Denken von Imre Nagy vor und nach der Revolution beschreibt der Autor und gibt uns ein Bild von Imre Nagy, das außerhalb Ungarns nur wenig bekannt ist.

János M. Rainer:
Imre Nagy. Vom Parteisoldaten zum Märtyrer des ungarischen Volksaufstands. Eine politische Biographie 1896 – 1958.
München, Ferdinand Schöningh 2006. 282 Seiten.



Verfälschende Bilder von historischen Zusammenhängen

Die Lektüre seines historischen Versuches ist leider enttäuschend. So belegt Dalos seine Darstellungen nicht mit Quellenverweisen. Der Leser ist darum außerstande zwischen historischer Darstellung und persönlichen Interpretationen des Autors zu unterscheiden. Als Quellen wird im Anhang nur eine „Buchauswahl“ angegeben, vermutlich um darüber hinweg zu täuschen, dass grundsätzliche Literatur nicht eingearbeitet wurde. Der Autor demonstriert, wie mit Halb- und Viertelwissen, getränkt mit der Ideologie der Geldgeber, verfälschende Bilder von historischen Zusammenhängen fabriziert wird. So weiß er über die Motive der bewaffneten Kämpfer in Budapest zu berichten: „Vor allem junge Menschen zwischen zwölf und zwanzig Jahren fühlten sich nicht unbedingt aus politischen Überzeugungen, sondern eher aus jugendlicher Aberteuerlust zu den Gruppen hingezogen.“ Haben dies ihm die jugendlichen Kämpfer berichtet? Wir erfahren es nicht.
Die Triebkräfte der modernen Revolution sind durch die Aktivität und Entfaltung der Arbeiterräte und anderer revolutionärer Selbstorganisationen geprägt. Ihnen gewährt Dalos nur eine Statistenfunktion als Korrektiv einer kommunistischen Partei oder in Gestalt von einflußlosen Betriebsräten. Und doch schreibt er, die Regierung habe sich dem Volk ergeben. Was das ‚Volk’ aber sei, außerhalb der Organisationen, die es sich selber gegeben hat, bleibt bei Dalos ein Mythos.
Ein für das Verständnis der ungarischen Revolution von 1956 wenig ergiebiges wenn nicht überflüssiges Buch.

György Dalos: 1956. Der Aufstand der Ungarn.
München C.H. Beck 2006. 247 Seiten.