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Bekannte Gesichter, Gemischte Gefühle

Kurt Hofmann

Bielefeld & Hartlieb: Auf der Strecke – Ein Fall für Wien und Berlin | Diogenes Verlag

17.12.2011

Ein Mord im Zug: Aber es ist nicht der Orientexpreß, den das Opfer für seine letzte Fahrt gebucht hat, schon gar sitzt Hercule Poirot in einem der Coupes. Also muss der Tote erst von einem der lokalen Polizisten identifiziert werden, bis die leitende Ermittlerin Anna Habel am Tatort eintrifft. Die ist zum Glück eine lesende Kriminalbeamtin und erkennt in dem Ermordeten namens Xaver Pucher einen Shootingstar der deutschsprachigen Literatur mit
Wohnsitzen in Wien und Berlin. So wird auch Habels Berliner Kollege in den Fall eingeschaltet, er heißt, man glaubt es kaum, Thomas Bernhardt. Das erlaubt dem AutorInnendoppel Petra Hartlieb und Claus-Ulrich Bielefeld (ebenfalls ein „Kommunizierendes Gefäß“ Wien-Berlin in ihrer Arbeitsweise) nach der ersten Erwähnung dieser Auffälligkeit gleich einen Namenswitz und sichert der Fortsetzung der Bielefeld&Hartlieb-Krimis jedenfalls Wiedererkennungswert... Aber zurück zu„Auf der Strecke“: Xaver Pucher, der war ein Freund der Frauen wie der Intrigen und liebte es, zu provozieren. Hartnäckig hält sich das Gerücht über ein verschwundenes, hochbrisantes Manuskript, einen Enthüllungsroman... Also gibt es unterschiedliche Ermittlungsansätze, die von privaten Motiven über Konkurrenzneid bis zu islamistischen Racheakten, einer Verwicklung Puchers in die Novum- Geschäfte der KPÖ oder die Verbindung zu einem mächtigen, medienpräsenten Unternehmer reichen. Habel und Bernhardt untersuchen alles, um immer wieder ins Leere zu greifen. Jedenfalls entdecken sie, welchem Phänomen sie auf der Spur sind: es geht um Kabale und Liebe.

Habel und Bernhardt: Da ist die alleinerziehende Mittdreißigerin, neugierig, drahtig, chaotisch, und da ist der stets genervte Einzelgänger Bernhardt. Unterschiedliche Charaktere, die einander letztlich doch anziehen. Deren erste Begegnung findet am Wiener Zentralfriedhof statt – wo sonst? Jede/r der beiden kennt seine Stadt in- und auswendig, beide waren einst politisch engagiert, beiden hat der Dienst trotz all der ironischen Distanz zum Gestern den Zorn auf die Verhältnisse nicht völlig ausgetrieben. Und überhaupt:“(...) ein Polizist will, zumindest in seinem tiefsten Inneren, kein Polizist sein, kein Verfolger, kein Bulle.“ (S.265) Na ja, lassen wir das dahingestellt. Habel und Bernhardt sind jedenfalls auf der Suche, nach möglichen TäterInnen ebenso wie nach einem Leben abseits der Routine. Sie flanieren durch die Metropolen, kennen das Milieu ebenso wie den Geruch der Häuser. Dass Habel im Grunde nichts vom toten Schriftsteller wissen müsste als die Adresse in der Bäckergasse, um dessen Verhältnisse richtig einzuschätzen, steht ebenso fest wie für Bernhardt, dass er einer verschrobenen Alten an der Hintertreppe eines Berliner Mietshauses vertrauen kann, weil da kein Fehl ist. Prototypisches, wohin das Auge blickt. Und wenn Anna Habel gar am Volksstimmefest recherchiert, so vermeint man (kaum verfremdeten) alten Bekannten zu begegnen... Der Weg ist jedenfalls das Ziel der beiden ungleichen ErmittlerInnen in Bielefeld&Hartliebs „Auf der Strecke“.

Habel und Bernhardt, das sympathische Team aus Wien und Berlin, dem man gerne wieder begegnen möchte (und wird...), lässt sich täglich überraschen. Mögen auch manche über sie meinen, es fehle ihnen der Plan und die beiden einander nicht dort wiederfinden, von wo sie weg-/ausgegangen sind, so zeitigt dies doch unvermeidlich neue Erfahrungen, die sich nicht missen wollen. „Möglicherweise irrtümlich/in dieser Verfassung/keinerlei Skrupel“ resümiert der alte Schauspieler in „Einfach kompliziert“, einem Stück von Thomas Bernhard, dem ohne t am Schluss, und der muß es ja wissen...