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Vom wechselseitigen Vertrauen - Viennale-Direktor Hans Hurch im Gespräch

Kurt Hofmann

Von 22.10. - 4.11.2009 ist es wieder so weit: In den traditionellen Viennale-Kinos Gartenbau, Künstlerhaus, Stadtkino und Urania ist Neues von alten MeisterInnen wie Jaques Rivette, Lars von Trier, Claire Denis, Francis Ford Coppola, Abel Ferrara, Frederick Wiseman und den Coen-Brs. zu sehen, gleichermaßen vie1 Entdeckenswertes von FilmemacherInnen aller Kontinente (etwa ein dem philippinischen Regisseur Lino Brocka gewidmetes tribute). Die Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum kuratiert von Jonathan Rosenbaum, ist „The Unquiet American-Transgressive Comedies from the U.S." gewidmet.

30.10.2009

Von 22.10. - 4.11.2009 ist es wieder so weit: In den traditionellen Viennale-Kinos Gartenbau, Künstlerhaus, Stadtkino und Urania ist Neues von alten MeisterInnen wie Jaques Rivette, Lars von Trier, Claire Denis, Francis Ford Coppola, Abel Ferrara, Frederick Wiseman und den Coen-Brs. zu sehen, gleichermaßen vie1 Entdeckenswertes von FilmemacherInnen aller Kontinente (etwa ein dem philippinischen Regisseur Lino Brocka gewidmetes tribute). Die Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum kuratiert von Jonathan Rosenbaum, ist „The Unquiet American-Transgressive Comedies from the U.S." gewidmet. Alle Infos zu Programm und Kartenverkauf: www.viennale.at

Für dielinke.at sprach Kurt Hofmann mit Viennale-Direktor Hans Hurch über das diesjährige Programm:


Die Linke: Filmmuseums-Direktor Alexander Horwath hat in der Viennale-Pressekonferenz angemerkt, dass die Gattung der "widerborstigen“ Komödien im Aussterben zu sein scheint. Jedenfalls finden sich in Jonathan Rosenbaums Auswahl zur Viennale-Retrospektive nur vier Filme aus diesem Jahrtausend. Wenn Horwaths Beobachtung stimmt, woran liegt das und was
sagt uns das?

Hans Hurch: Von den gehypten Comedy-Begisseuren des Gegenwartskinos setzen die meisten auf ein komisches Einverständnis, sie sind leicht einordenbar, es fehlt ihnen am Anarchischen, Widerborstigen. Ein wesentlicher Grund, weshalb es wenige gute Filmkomödien gibt, ist jedoch vor allem, dass die Filmkomödie vermutlich das Schwierigste aller Genres ist. Freilich fehlte es nicht an Themen, aber wo ist heute ein Lubitsch, der die Komödie über die Krise dreht?

Dem philippinischen Regisseur Lino Brocka ist heuer ein tribute gewidmet. Die Rede ist von einem "Gebrauchskino", das politische Inhalte transportiert ...
... und an einem allgemeinen Gut an kulturellen Bildern, welche die Leute kennen, anknüpft. Lino Bracka nimmt Bezug auf populäre Formen des Liedes, des Theaters, auf Comics etc., man könnte im weitesten Sinne von "Vo1kskunst" sprechen. Lino Brockas Filme haben dadurch etwas Einfaches, jedoch niemals Simplifizierendes. Melodramatische Elemente mischen sich mit Dokumentarischen, es ist ein im besten Sinne "primitives Kino", wenn man den Begriff "primitiv“ nicht in einem einschränkenden oder gar denunziatorischen Sinn benützt.

Timothy Carey, Schauspieler und Regisseur, hat nur ein schmales Oevre vorzuweisen, dennoch gilt er als einflussreicher Cineast, den berühmtere Kollegen wie John Cassavetes oder Stanley Kubrick hoch schätzten.  Legendär sein Film "The World’s Greatest Sinner", den die Viennale mit einer neuen Kopie den nachgeborenen Cinephilen im Rahmen des Timothy Carey gewidmeten tributes präsentiert. Eine längst notwendige Wiederentdeckung?
Zum einen hat Timothy Carey sich mit seinen Arbeiten am Rande des(US,)Kinos bewegt, galt als eigenständig und unverwechselbar, nicht einordenbar und hat mit „The World's Greatest Sinner", einem wahn-witzigen Geniestreich über einen Versicherungsvertreter, der ausflippt, seine eigene Religion gründet und sich schließlich um das Amt des US-Präsidenten bewirbt (und dessen Geschichte von einer Schlange erzählt wird) einen Kultfilm geschaffen, der von John Cassavetes über Stanley Kubrick bis hin zu Frank Zappa viele Kreative seiner Generation beeinflusst hat. Dieser Kultstatus ist, seit der Film als „verschollen" galt und nicht mehr zu sehen war, noch gewachsen und nährt sich - ein in ähnlichen Fällen gleichfalls zu beobachtendes Phänomen - vom Hörensagen. Die Viennale hat nun gemeinsam mit Romeo Carey, dem Sohn des verstorbenen Regisseurs (der im Rahmen des Festivals auch seinen Film "Making Sinner", eine Dokumentation über Leben und Werk seines Vaters, präsentiert) eine neue 35 mm-Kopie ertstellt und ermöglicht damit nicht nur eine Wiederbegegnung, sondern auch die Überprüfung einer Legende. Es wird sich erweisen, dass der Kultstatus dieses Filmes dadurch nicht geschmälert wird – im Gegenteil.

Es fällt auf, dass im diesjährigen Programm viele österreichische Filme vertreten sind. Auch der Eröffnungsfilm stammt - erstmals in der Geschichte der Viennale - von einem österreichischen Regisseur (Lui Frimmel, gemeinsam mit Tizza Covi / Italien: "La Pivellina"). Der schöne Übertitel der Österreich-Leiste lautet "Home Run - Neues Kino aus Österreichn. Von den Zeiten,  der Viennale vorgeworfen wurde, das österreichische Kino zu ignorieren, hin zu einem Erfolgslauf, dem "home run"?
Diese Filme sind nicht durchwegs Meisterwerke, aber, aber was man ihnen hoch anrechnen muss, ist, dass sie sich mit ihrer Thematik, den Geschichten, die ihnen wichtig sind, ernsthaft und konkret beschäftigen. Es gibt, auch das sol1 diese Österreich-Schiene zeigen, abseits der großen Namen wie Haneke und Seidl, ein vielfältiges Spektrum von FilmemacherInnen, die auf unterschiedliche Weise etwas zu erzählen haben.

Was mir allerdings noch immer fehlt, als Kinobesucher, nicht als der Viennale-Direktor Hans Hurch, ist ein realistisches Kino, das über dieses Land etwas erzahlt. Götz Spielmanns "Revanche" hatte einen Touch davon, aber meist wird „das Eigene“ umkreist, wir finden uns z.B. bei den neuen Filmen von Jessica Hausner in Lourdes und bei Haneke in Norddeutschland wieder. Aber ein Film der eine bestimmte geschichtliche Zeitspanne mit realistischen Mitteln sichtbar macht wie Robert Altmans "Nashville" die siebziger Jahre in den USA, der mit einer Vielzahl von Geschichten im Rahmen eines Musikfilms ein Land sichtbar gemacht hat, fehlt.

So wie es kein schöneres und interessanteres Dokument über diesen Moment der US-amerikanischen Geschichte gibt, sind auch wenige andere Filme vorstellbar, die in derart idealtypischer Weise vorzeigen, wie ein realistisches Kino über das eigene Land aussehen könnte.

Nach dreizehn Jahren als Viennale-Direktor ein Rückblick: Gab es am Anfang einen Plan, eine Zielvorgabe an zu Erreichenden?
Nein, aber was erreicht wurde, ist etwas, was ich nicht explizit angestrebt habe, was mir aber implizit klar war, dass es unabdingbar für eine langfristige Arbeit ist: dass es ein Grundvertrauen zwischen dem Publikum und dem Viennale-Team gibt. Es ist ein wechselseitiges Vertrauen. So wie das Viennale-Publikum darauf vertrauen kann, nicht opportunistisch, den Moden entlang, hinters Licht geführt zu werden, vertraue ich auf ein Publikum, dem ich auch etwas zumuten kann, das Vorschläge annimmt und Auseinandersetzungen nicht scheut. Dieses wechselseitige Vertrauen ist gewissermaßen das Geheimnis der Viennale.
Auswärtige Besucher mit vielfältiqer Festivalerfahrung sind immer wieder überrascht, wie groß und wie ernsthaft das Interesse und die Neugierde des Viennale-Publikums, auch an Filmen, die anderswo al „Kassengift“ klassifiziert werden, sind. Ein solches Vertrauensverhältnis kann sich nur auf Überzeugung gründen, das braucht Zeit. (Der im nächsten Jahr auslaufende Vertrag von Hans Hurch wurde eben um weitere drei Jahre verlängert. K.H.)

Der ORF ist, so heißt es, in der Krise. Jedenfalls stellt er sich den Debatten um das Öffentlich-Rechtliche nicht und droht einschneidende Sparmaßnahmen an, die drastische Folgewirkungen für den österreichischen Film hätten. Was ist zur aktuellen Debatte zu sagen?
Wenn sich ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, wesentlich aus Gebühren finanziert und in seinen Grundzügen durch ein Gesetz definiert wird, dann können daraus kulturpolitische und gesellschaftliche Verpflichtungen abgeleitet werden, die u.a. selbstverständlich auch eine Förderung des österreichischen Filmes beinhalten. Dass es an einer erkennbaren Struktur, an langfristigen Plänen manqelt, liegt daran, dass der ORF immer ein Spielball politischer Interessen war. Wenn es nicht möglich ist, den ORF in eine gewisse "Unabhängigkeit" zu entlassen, mit dem nötigen staatlichen Support und klaren Auflagen, was öffentlichrechtlich bedeutet, wird die Krise eine Dauerkrise bleiben. Derzeit wird der ORF wie die AUA behandelt - die Folgen sind absehbar… Widerwärtig ist allerdings die Häme, mit der andere Medien den ORF behandeln, das ORF-Bashing, das durchschaubare Ursachen hat, die in den Interessen der Eigentümer gewisser Printmedien begründet liegen...

Ein kulturpolitisches Dauerthema ist die Agonie der Kulturpolitik nach dem schwarzblauen Supergau durch Morak & Co. Weshalb scheint sich abseits schöner Worte nichts zu bewegen?

Leider ist die Amtszeit von Ministerin Schmied bislang durch Verwalten und Lavieren qekennzeichnet, eine Arbeitsgruppe mündet in die andere, man spürt überhaupt keinen Gestaltungswillen, keine Idee über den Tag hinaus. Vorherrschend ist Mut- und Phantasielosigkeit. Anlässlich der Debatte um die Integrationspolitik hat man argumentiert, ein Staatssekretariat für Integrationsfragen sei unnötig, denn es handle sich um eine Querschnittsmaterie. Auch die Kultur ist eine Querschnittsmaterie, die alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft – allerdings hört man keinerlei kultur- und gesellschaftspolitische Statements der Ministerin zu aktuellen Fragen. Vielleicht ist sie auch überfordert, aber was bisher an kulturpolitischen Initiativen aus dem sozialdemokratisch geführten Ministerium in der Post-Morak-Ära kam, erinnert an das Wort vom Berg, der kreiste und ein Mäuslein ward geboren…

Abschließend die alljährliche Frage nach dem Geheimtipp des Intendanten...
Auch auf die Gefahr hin, zu langweilen, empfehle ich das Kurzfilmprogramm mit einem frühen und zwei aktuellen Arbeiten von Jean-Marie Straub (allerdings sagt schon Straub: „Pflege das, was man dir vorhält!"). Man erhält, Straubs Filme sehend, ein Gefühl für Kino und Politik, deshalb habe ich dieses Programm bewusst im Gartenbau-Kino angesetzt. Beklagenswerterweise wird es für Straub, je mehr er auch dort Akzeptanz findet, wo man früher vor Straub-Filmen zurückschreckte, immer schwieriger, neue Projekte zu realisieren, weil die alten Fernsehredakteure in Deutschland in Pension geschickt wurden, die seine Arbeit unterstützt hatten und sich die Förderformen zu ungunsten nicht-normgerechter Filme verändert haben.

Umso mehr empfehle ich den Besuch dieser Filme eines Unbeugsamen.

Wir danken für das Gespräch.