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Neu im Kino

Kurt Hofmann

"Kurz davor ist es passiert" und "The War on Drugs", zwei Filme, die im Rahmen der Diagonale 2007 vorgestellt wurden, sind nun im Kino angelaufen.

18.10.2007

Sie müssen am Zöllner vorbeigekommen und dem Bordellkellner jedenfalls nicht unbekannt sein: Die Sklavinnen unserer Tage, angelockt von den Märchen über das bessere Leben im Goldenen Westen. In „Kurz davor ist es passiert“ thematisiert Anja Salomonowitz den Frauenhandel, lässt die Betroffenen ihre Geschichte erzählen. Dass diese naturgemäss nicht vor die Kamera treten wollten und auf Anonymisierung bestanden, versteht sich. „Der Verfremdungseffekt geschieht jetzt als Abrückung, Verlegung eines Vorgangs, Charakters aus dem gewohnten, damit der als weniger selbstverständlich betrachtet werden könne. Wonach gegebenenfalls die Schuppen von den Augen fallen..“ notiert Ernst Bloch 1962. Die Entscheidung von Anja Salomonowitz, keine professionellen SchauspielerInnen/SprecherInnen für die Berichte der Opfer zu engagieren, sondern Querverbindungen zu allfälligen Begegnungen herzustellen und einen Zöllner, eine Nachbarin, einen Bordellkellner, eine Diplomatin und einen Taxifahrer deren Geschichten erzählen lässt, erzielt Klarheit durch Brechung und Distanznahme. Die Berichtenden werden in ihren alltäglichen Arbeitsabläufen gezeigt und sprechen die fremden Texte wie beiläufig (nichts wäre kontraproduktiver als Schauspielerei) in die Kamera. Das Unbeholfene, Befremdliche des Vortrags schärft die Aufmerksamkeit für die Befremdlichkeit des Vorgefallenen. Wissend, dass „…die Geschichten (…) quasi ständig zwischen und unter uns sind, aber dass wir uns überhaupt nicht darum kümmern müssen, weil unsere Welt uns nicht zwingt, sich darum zu kümmern“ (Anja Salomonowitz im Gespräch mit Andreas Filipovic, Unique, setzt Salomonowitz den V-Effekt zur Sichtbarmachung der in Illegalität und Rechtlosigkeit Gehaltenen ein. Vertraute Gesichter, gemischte Gefühle: „Verfremden ist also ein wirkliches Bekanntmachen“. (Manfred Werkwerth/Arbeit mit Brecht)



Ja mach nur einen Plan: "Plan Columbia" nennt sich das ambitionierte Vorhaben der US-Administration, durch Ausschaltung der Drogenanbaugebiete in Kolumbien dem organisierten Drogenhandel einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Die Maßnahmen klar durchdacht: Flugzeuge steigen auf, besprühen die Koka- und Mohnanbaugebiete mit Pflanzenvernichtungsmitteln und alles funktioniert wie  daheim in der Küche mit der Beseitigung lästiger Flecken-wisch und weg. Dummerweise haben gerade Mohn und Koka sich als einigermaßen resistent erwiesen, dafür sind andere Teile der Ernte restlos vernichtet. Auch die großen Kartelle des Landes hat man zerschlagen und Escobars Leiche stolz vorgezeigt. Die Folge war Dezentralisierung und Unüberschaubarkeit, eine Umstellung im nun noch besser funktionierenden System. Also muss der Krieg, "The War on Drugs" (Österreich 2007; Sebastian j.f.) fortgeführt werden, am besten vor Ort im eigenen Land, 8 Millionen US-AmerikanerInnen werden jährlich wegen Drogenbesitz und/oder -handel verhaftet. Völlig losgelöst von der Erde scheint dabei das Vorgehen der Behörden: Ein Großteil betrifft den Besitz von Marihuana, andere werden wegen Medikamentenmißbrauch angeklagt. Wer krankheitsbedingt viele Schmerzmittel benötigt, verdealt diese wohl auch, so die zwingende Logik, die Kranke und ihre Ärzte hinter Gitter bringt. "Keine demokratische Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit hat je einen so hohen Prozentsatz ihrer Bevölkerung eingesperrt. Wenn du vergleichbare Beispiele suchst, musst du zu den Gulags in der Sowjetunion der 30er, 40er und 50er Jahre zurückgehen" sagt Ethan Nadelman von der Drug Policy Alliance in einem Statement für "War on Drugs", einem Film, der die gängige Berichterstattung in Sachen Drogen durch Fakten, die den Wahnwitz der US-Behörden und den weiteren Ausbau der Kontroll- und Überwachungsinstanzen  belegen, konterkariert.