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"Von außen lässt sich das Regime nicht ändern"

Gilbert Achcar

Gilbert Achcar im Gespräch über die US-Politik gegenüber Palästina und dem Iran. Mit der Entführung des PFLP-Führers Ahmad Saadat scheint Israel die Palästinenser demütigen und zu verzweifelten Reaktionen treiben zu wollen. Glaubt es, sie weiter international isolieren zu können?

24.04.2007

Die Entführung von Saadat ist eine direkte Folge der Zusicherung, die Hamas gegeben hatte, sie werde ihn freilassen, sobald sie an der Regierung ist. Es war dieses völlig richtige Engagement, das Israel getrieben hat, im Einverständnis mit den USA und Großbritannien — wahrscheinlich aber auch mit Mahmud Abbas, dessen Haltung mir sehr heuchlerisch zu sein scheint — seine Entführung zu organisieren.
Gleichzeitig dient die Operation der Unterstützung von Ministerpräsident Ehud Olmert in den kommenden Wahlen. Ich glaube nicht, dass die Palästinenser damit in erster Linie provoziert werden sollten. Jetzt wo Hamas die Wahlen gewonnen hat, sind die Anhänger Sharons in einer sehr komfortablen Lage. Während die USA sich im Verbund mit ihren Freunden in der Fatah darauf konzentrieren, Hamas am Regieren zu hindern, kann Israel in aller Ruhe den Bau der Mauer vorantreiben und das Territorium im Westjordanland abstecken, das es annektieren will.

Wie wird sich Hamas nach ihrem Wahlsieg verändern?

Das ist schwer zu sagen, weil es von vielen Faktoren abhängt, auch von der Haltung der Regierungen der USA und Europas, natürlich auch Israels. Wenn man jedoch berücksichtigt, was Hamas ist, wie sie diesen Sieg errungen hat, welches Programm sie vertritt, dann kann ich dem rosigen Szenario, das einige für möglich halten, Hamas werde sich der Realität beugen und den sog. Friedensprozess in irgendeiner Weise weiterführen, nicht folgen. Ich glaube nicht, dass Hamas willens ist, ihre politische Identität einfach so schnell aufzugeben, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Ich glaube auch nicht, dass ein solches Szenario möglich wäre, weil in Israel eine sehr halsstarrige, sehr rechte Mehrheit im Amt ist und die Anhänger Sharons letzten Endes mit der derzeitigen Situation recht zufrieden sind. Sie liefert ihnen den Vorwand, ihre einseitigen Maßnahmen fortzusetzen und die endgültige Lösung durchzusetzen, die sie wollen.

Als Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas haben die USA, die EU und Israel mit diplomatischer Isolation und der Einstellung der Wirtschaftshilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde gedroht. Der Iran hat daraufhin eigene Finanzhilfen zugesichert und andere muslimische Staaten aufgefordert, seinem Beispiel zu folgen. Die arabische Presse veröffentlichte jüngst Berichte — die Hamas dementiert hat — wonach der Iran ihr 250 Millionen Dollar zugesagt habe. Was bedeutet das alles?

Es zeigt, dass die Versuche, Hamas zu isolieren, genauer gesagt, die rechtmäßig gewählte Regierung Palästinas zu isolieren, sich in einen Bumerang verwandelt. Klar ist, dass der Wahlsieg von Hamas in Palästina auch ein großer Sieg für den Iran, für Syrien und für alle Gegner der USA in diesem Teil der Welt ist. Der Iran verfügt jetzt über einen zusätzlichen Trumpf in dieser Region und spielt ihn bereits aus.
Der Iran hat Hamas schon lange vor den Wahlen unterstützt, Hamas hat das vergolten mit einer Unterstützung des Iran nach den letzten provokativen Äußerungen des iranischen Präsidenten, wenige Wochen vor den Wahlen. Die iranische Regierung sagt, sie werde Hamas alles geben, was das palästinensische Volk an finanzieller Hilfe braucht. Damit werden die US-freundlichen arabischen Regime in die Ecke gestellt und gezwungen, Teheran zu überbieten — sie fürchten sehr, dass Teheran als die einzige Macht dastehen könnte, die Hamas unterstützt. Sie spüren, dass sie Hamas unterstützen müssen, weil die arabische öffentliche Meinung im Konflikt zwischen Hamas und Israel/Europa voll und ganz auf der Seite von Hamas steht.

Condoleeza Rice hat 75 Millionen Dollar für dieses Jahr gefordert, um oppositionelle Gruppen im Iran zu finanzieren. Sie hat behauptet, die USA habe "mehrere Optionen" für den Umgang mit dem Iran. Was sind das für welche? Für welche werden die USA sich entscheiden?

Ich glaube, dass Washington selber noch nicht sagen kann, wofür es sich letzten Endes entscheiden wird, weil jede Option riskant ist und viele Faktoren bedacht werden müssen: im Iran, im Irak, regionale Faktoren über die beiden Länder hinaus, internationale Faktoren. Der Iran ist eine viel härtere Nuss als der Irak — mindestens solange es um die Frage ging, wie Saddam Hussein gestürzt werden kann, was bei weitem der einfachste Teil der Übung war. Ein Sturz des iranischen Regimes ist weitaus schwieriger, erstens weil Washington im Iran nicht einmarschieren kann, dazu ist das Land zu groß. Zweitens aber weil das Regime tatsächlich eine soziale Basis hat. Die jüngsten Wahlen, die Ahmadinejad an die Macht gebracht haben, waren nicht gefälscht, nicht unecht. Ihr Ergebnis spiegelt die Tatsache, dass das iranische Regime immer noch über eine soziale Basis verfügt, die es mit populistischen Parolen mobilisieren kann; es kann an die nationalistischen Gefühle der Menschen appellieren.
Je stärker Washington das iranische Regime politisch attackiert, desto besser für es. Dies erklärt, warum Ahmadinejad die USA und Israel ständig provoziert: er ist weitaus weniger verrückt, als man im Westen glaubt. Er weiss genau, was er tut, die Angriffe stärken seine Position zu Hause und in der ganzen muslimischen Welt, wo Äußerungen wie er sie tut, breiten Anklang finden. Ginge Washington über Drohungen hinaus und würde den Iran militärisch angreifen, hätte dies eine massive Protestwelle und weitere Radikalisierung in der gesamten Region zur Folge, mal ganz abgesehen davon, dass der militärische Erfolg alles andere als garantiert wäre. Das wäre deshalb für die USA eine sehr delikate und gefährliche Entscheidung.
Andererseits glaubt Washington, wenn der Iran Atomwaffen erhält, werde dies die Interessen der USA in der Region stark gefährden, weil der Iran gestützt auf ein so hohes Abschreckungspotenzial viel größere Möglichkeiten hätte, politisch zu agieren und zu manövrieren.
Ich glaube also, sie gehen in Washington jede mögliche Option durch, aber es gibt kein Szenario einer militärischen Aggression, das sie leichten Herzens umsetzen könnten. Im Moment schwingen sie noch Zuckerbrot und Peitsche, um die iranische Urananreicherung so weit wie möglich hinauszuschieben, in der Hoffnung, die innenpolitische Lage im Iran werde sich wieder ändern und die Opposition gegen das Regime neuen Aufschwung bekommen.
Darum ging die Äußerung von Condoleeza Rice, sie bedeutet, dass Washington nicht in der Lage ist, das Regime von außen zu ändern wie im Irak — es bleibt also nur die Option, es von innen zu ändern, mithilfe der oppositionellen Kräfte. Das Problem aber ist, dass jede Opposition, die direkt von den USA unterstützt würde, von Anfang an diskreditiert wäre. Seit dem US-Einmarsch im Irak ist das Ansehen der USA in der Region massiv gesunken.

Wie würdet du das Verhältnis zwischen Russland und dem Iran beschreiben?

Der Iran ist für die Russen ein wichtiger Posten: Moskau kann heute auf sehr viel weniger Verbündete und Satellitenstaaten zählen und hat für diesen Verlust an Einfluss von den USA keinen Gegenwert erhalten, trotz der sehr kooperativen Haltung Putins, besonders nach dem 11.September. Russland versucht deshalb, wieder eine eigene Einflusszone aufzubauen und hat seine strategischen Beziehungen zu China ausgebaut. In Zentralasien tritt es wieder als direkter Konkurrent der USA auf und versucht, deren Einfluss nach den Landgewinnen seit dem 11.9. und dem Einmarsch in Afghanistan einzudämmen und zurückzudrängen. Vor kurzem hat Russland bewirkt, dass Usbekistan den Leasingvertrag mit den USA über die Nutzung der Air Base widerrufen hat. In diesem allgemeinen Sinn spielen Russlands Beziehungen zum Iran eine große Rolle.
Andererseits wiederum hängt Russland wirtschaftlich stark von Deutschland ab, Deutschland übt in der Iranfrage aber auch Druck aus, und so sucht die russische Regierung, all diese Faktoren unter einen Hut zu bringen. Doch letzten Endes glaube ich nicht, dass Russland mit Teheran brechen wird, nicht jetzt, wo der Wind sich im Nahen Osten gegen die USA dreht.

Vor wenigen Wochen hat Khaled Mashal, politischer Führer der Hamas, die Türkei besucht. Ihm folgte der irakische Premierminister Ibrahim al-Jaafari und demnächst der irakische Schiitenführer Moqtada al-Sadr. Welche Rolle will die Türkei im Nahen Osten spielen?

Der Irak und Palästina sind nicht dasselbe. Hamas versucht natürlich sehr massiv, ein Netzwerk internationaler Beziehungen aufzubauen; früher hat sie sich nie darum gekümmert. Da sie von den westlichen Staaten geächtet wird, versucht sie es mit Regierungen, die mit den USA über Kreuz sind. Ein Besuch in der Türkei war wichtig für sie, weil die Türkei ein NATO-Land ist und ein offizieller Verbündeter der USA, zugleich aber von einer islamistischen Partei regiert wird. Die türkische Regierung hat Hamas willkommen geheißen, ich bin sicher, dafür hat Washington grünes Licht gegeben, weil es versucht, seine muslimischen Verbündeten zu mobilisieren — die Saudis und alle anderen, dass sie Hamas überzeugen, die nötigen Zugeständnissen zu machen.
Im Hinblick auf den Irak stehen die Dinge ganz anders. Die Konfrontation zwischen den Schiiten und den Kurden nimmt zu. Die Kurdische Allianz ist der wichtigste und zuverlässigste Bündnispartner Washingtons im Irak, während die schiitische Allianz jetzt mehrheitlich auf dem Bündnis zwischen Moqtada al-Sadr und Jaafari beruht — al-Sadr hat Jaafari bei seiner Nominierung zum Ministerpräsidenten unterstützt. Zum zweiten Mal seit den Wahlen im Januar 2005 versucht die kurdische Allianz mit allen Mitteln, ihre Beteiligung an der Regierung Allawi zu erzwingen, dem zweiten zentralen Bündnispartner und Handlanger Washingtons im Irak, der heute allerdings viel schwächer ist als im vergangenen Jahr. Die Kurden versuchen das gegen den Willen der schiitischen Allianz und gegen den Willen Teherans, einem heftigen Gegner Allawis.
All diese Machtfragen haben beim Türkeibesuch des irakischen Premier eine Rolle gespielt. Ankara macht sich Sorgen über die Rolle der Kurden im Irak, die Schiiten versuchen deshalb, die Türkei dazu zu bewegen, dass sie die arabischen Sunniten dafür gewinnt, dass sie ihr Bündnis mit den Kurden aufgeben, von dem sie sich für sich selbst ein größeres Stück vom Kuchen erhoffen. Diese allgemeine Situation erklärt auch, warum die kurdische Allianz so heftig auf den Staatsbesuch Jaafaris in der Türkei reagiert hat.

Gilbert Achcar lehrt Politische Wissenschaft an der Universität Paris VIII.
(Das Interview führte Cihan Aksan für die Zeitschrift State of Nature. Übersetzung: Angela Klein)
aus: SOZ, April 200, www.soz-plus.de



06-04-2006, 18:21:00 |Gilbert Achcar