die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel International Frankreich: Massive Streikbewegung. Auch die zweite Runde geht an die Streikenden
Adresse: https://dielinke.at/artikel/international/frankreich-massive-streikbewegung-auch-die-zweite-runde-geht-an-die-streikenden/

Frankreich: Massive Streikbewegung. Auch die zweite Runde geht an die Streikenden

Johann Schögler

Die Basis hat den Streik beschlossen und legt von Tag zu Tag von Neuem die Weiterführung fest.

21.11.2007

Der Widerstand gegen die Pensionsverschlechterungen als Auslöser für einen gemeinsamen Widerstand verschiedener Berufsgruppen gegen die neoliberalen Verschlechterungen. Neben den Eisenbahnern sind die StudentInnen gegen Uni-Privatisierungstendenzen; die Lehrerschaft gegen Posteneinsparungen und für Kaufkrafterhöhung und jetzt auch noch die Angestellten der Post- und Telekommunikationsbetriebe mit dabei. Die Angestellten der Elektrizitäts- und Gasbetriebe (EDF/GDF) sind in Verhandlungen eingetreten und haben den Streik ausgesetzt, wobei sie für Mitte Dezember wieder Streiks ankündigten, falls der Verhandlungsverlauf nicht ihren Forderungen entspricht.
 
Nach dem erfolgreichen Auftakt der Streikenden Bahnangestellten am 18. Oktober (mit 75% die höchste Streikbeteiligung) und der Fortführung des Streiks in den darauf folgenden Tagen, obwohl nur 2 der 8 Gewerkschaften für die Weiterführung plädierten - und da es seitens der Regierung und der Vorstände der Verkehrsbetriebe kein Einlenken hinsichtlich der Forderungen der Streikenden, die nicht bereit sind Verschlechterung der Pensionsbedingungen hinzunehmen, gegeben hatte - haben die französischen Angestellten der Verkehrsbetriebe SNCF (Bahn) RATP (Pariser Nahverkehrsbetriebe) und die Elektrizitäts- und Gasbereiche (EDF/GDF) am Di. 12.November 2007 die Streikbewegung wieder aufgenommen und sie Tag für Tag alle 24 Stunden durch Abstimmungen in den Vollversammlungen an der Basis von neuem weiter verlängert. Kein lückenloser Streik, da die korporatistische Gewerkschaft Fgaac – die bei der Bahn insgesamt zwar nur 8%, aber bei den Lokführern alleine 30% Gewerkschaftsmitglieder organisiert - gleich in der Nacht des 18. Oktober mit der Firmenleitung einen Kompromiss unterzeichnet hatte und nicht weiter zum Streik aufruft. Auch die SP-nahe CFDT, die die viert stärkste Kraft darstellt, versucht sich vor allem durch Verhandlungen zu positionieren.
 
Alle hochnäsigen Aufforderungen von Präsident Nicolas Sarkozy, Premier Francois Fillion und Arbeitsminister, Bertrand Xavier, die Arbeit wieder aufzunehmen, um das Leben der PendlerInnen nicht so schwer zu machen, der französischen Wirtschaft nicht zu schaden – und ihre Vorbedingung für Verhandlungen zu erfüllen - beantworteten die Betroffenen mit njet. Sarkozy hatte sich gerade selbst eine Gehaltserhöhung von 172% zugestanden.
 
Auch die meisten Gewerkschaftsvorsitzenden (außer der linken Einheits-Gewerkschaft SUD) wollten schon eher gestern als morgen mit den Verhandlungen am Grünen Tisch beginnen. Das ging aber auch nicht, da ihre eigene Basis den Streik nicht einstellte. Der Generalsekretär der CGT - der größten Gewerkschaft, Bernard Thibault, wollte sogar schon am Vorabend der Streikaufnahme vom 12. November in Verhandlungen eintreten. Angesichts der Radikalität der Basis riefen am Sonntag den 18. Nov. nun sechs (cgt; fo, cftc; unsa; cfe-cgc und sud) der acht (fgaac; cfdt) Bahngewerkschaften auf, den Streik um weitere 24 Stunden zu verlängern. Auch am 19. Nov. haben die Vollversammlungen (mit 96%) in der RATP und der SNCF den Streik um weitere 24 Stunden beschlossen. (EDF/GDF). haben sich auf Verhandlungen – die eher unverbindliche Gespräche sind - eingelassen, nachdem die CGT Gewerkschaft vorgeschlagen hatte man solle mit den einzelnen Verkehrsbetrieben getrennt verhandeln.
 
Nachdem die Regierung der Forderung des CGT Vorsitzenden, dass neben den Leitern der Verkehrsbetriebe, den Gewerkschaftsvorsitzenden auch ein Regierungsvertreter bei den Verhandlungen dabei sein sollte, nachgegeben hatte, wurde für Mittwoch 21.Nov. ein erster Verhandlungstermin festgelegt. Die Regierung verlangt aber weiterhin, dass die Gewerkschaftsvorstände an der Basis dahingehend wirken, dass diese die Streiks einstellt.
 
Wie bewusst sich die Streikenden dessen sind, um welch hohen Einsatz es geht, zeigt die Überzeugung z.B. von Hassen, einem 28 jährigen Buschauffeur:“ wir müssen den Leuten klar machen, dass wir nicht uns alleine verteidigen, sondern dass wir einen Riegel gegen die Verschlechterungen darstellen. Wenn sie (die Regierung und die Betriebsvorstände) erreichen, dass sie uns von den 37,5 Pensions-Beitragsjahren auf die 40 der anderen angleichen, wird es sehr bald 41, 42; ja sogar 45 Beitragsjahre für alle geben.“ Ein anderer jüngerer Lokführer meint:“ 1995 haben die älteren uns durch einen 4-wöchigen Streik verteidigt und den Rücktritt von Premier Juppé erreicht. Jetzt sind wir dran.“
 
Da die bestreikten Arbeitstage nicht wie in Deutschland über Gewerkschaftsbeträge entschädigt werden, müssen die Streikenden große finanzielle Einbussen hinnehmen. Trotzdem meint ein Lokführer: „wir müssen durchhalten; wir haben einiges auf die Seite gelegt; lieber nehme ich einen Kredit auf und bin bereit mich einzuschränken, als dass wir den Streik aufgeben.“
 
DEN SCHULTERSCHLUSS MIT DEM BILDUNGSSEKTOR HERSTELLEN
 
Ziel der Streikenden war es eine Woche durchzuhalten, da die Beamten im Bildungssektor für den 20. November zu Streiks und Demonstrationen gegen Posteneinsparungen und für Lohnerhöhungen aufriefen.
 
Fast zeitgleich mit der Wiederaufnahme der Streiks der Verkehrsbetriebe begannen die StudentInnen sich an den Universitäten gegen ein in den Sommermonaten beschlossenes Autonomiegesetz der Unis (sprich Privatisierung) für dessen Abschaffung zu mobilisieren. Nach 5 Tagen waren 45 der 84 Universitäten von Streiks bzw. Besetzungen und Zugangsblockaden betroffen. Der Mobilisierungsgrad steigt von Tag zu Tag, zumal 4 Uni-Rektoren die gefürchtete Bereitschaftspolizei (CRS) angefordert hatten und in der Nacht die Zugangs-Blockaden räumen ließen. Auch hier waren es zuerst Basisbewegungen und linke Studentengruppierungen, die den Auslöser gaben. Inzwischen ist die größte Studentengewerkschaft UNEF auch dabei, nachdem ein Empfang einer Delegation der 5 Studentengewerkschaften bei UNI-Bildungsministerin Valérie Pécresse am 15. November nur ergeben hat, dass die Regierung von ihrem Gesetz nicht abrücken will. Daraufhin sagte der UNEF-Vorsitzende Bruno Julliard:“wir müssen die Bewegung ausweiten“. Die 3. frankreichweite StudentInnen-Koordination am Sonntag den 18. Nov. in Tours hat alle StudentInnen und MittelschülerInnen aufgerufen sich dem Protesttag am Di. 20. Nov. anzuschließen und hat einen weiteren zentralen Demonstrationstag für Do. 22. Nov. festgelegt.
 
Auch die ArbeiterInnen des Post- und Telekommunikationsgewerbes kündigten am Sonntag an, sich an den Mobilisierungen am Di. dem 20. Nov. zu beteiligen.
 
Die Parteien und der Arbeitskampf
 
Sarkozys UMP-Partei hat sich im Konflikt eindeutig geoutet und angekündigt mit ihren 360 000 Mitgliedern die harte Linie des Präsidenten aktiv zu unterstützen. Am Sonntag demonstrierten bereits 8000 rechte Anhänger gegen die Streikenden. Erst vor kurzem musste Sarkozy persönlich den Konflikt der Hochsee-Fischer entschärfen. Wegen der gestiegenen Ölkosten hatten sie die Häfen besetzt und waren sehr radikal aufgetreten, sodass Sarkozy sofort so viele Unterstützungsgelder flüssig machte, damit den Fischern der Dieselpreis pro Liter mit 50 Cent möglich wurde. Eine vorübergehende Lösung für 6 Monate. Die Rechtsanwälte und Richter der Bezirksgerichte demonstrieren an vielen Orten gegen deren Schließungen. Im gesamten öffentlichen Dienst sieht das Programm Sarkozys vor jeden zweiten Posten einzusparen.
 
Der rechtsextreme Le Pen, der sich am 18. Nov. mit seinen 80 Jahren als einziger Nachfolger in seiner Partei wiederwählen ließ, schlug vor, dass Sarkozy die Verschlechterung der Pensionsreform nicht an den Öffentlichen Sektor, sondern gleich an die noch schlechteren Bedingungen der Beschäftigten in der Privatwirtschaft angleichen soll.
 
Vom sozialdemokratischen Oppositionsvorsitzenden Francois Hollande (SPF) gibt es nur Kritik am Verhalten und der Methode der Regierung; dass sie nicht bereit ist sofort zu verhandeln. Die Reform Sarkozys finden sie für notwendig. Sie kritisieren auch, dass Sarkozy die Kraftprobe im Sinne einer politischen Auseinandersetzung sucht.
 
Die KPF unterstützt den Arbeitskampf, vor allem in ihren lokalen Hochburgen. Sie warnt vor Branchenweisen Verhandlungen, da sie zu Spaltungen führen und weist darauf hin, dass alle Sektoren zusammen in den Widerstand eintreten müssten. Hier werfen die Verhandlungen mit der SP hinsichtlich der im kommenden März stattfindenden Gemeinderatswahlen ihre Schatten voraus.
 
Olivier Besancenot von der LCR rief am 16. Nov. alle Verantwortlichen der Linken Parteien zu einem gemeinsamen Treffen auf, um die Solidarität mit den Streikenden am Effektivsten organisieren zu können. Die LCR arbeitet an der Zusammenführung aller Widerstandsbewegungen, „denn nur so ist es möglich die Unternehmerschaft und Sarkozy zum Zurückweichen zu zwingen“ (Rouge 15. Nov)“Die Selbstorganisation der Arbeiter ist eine Notwendigkeit. Massive souveräne Vollversammlungen, die sich auf einen massiven Streik stützen, sind der einzige Garant, die Bürokraten daran zu hindern im Rücken der Beschäftigten zu verhandeln.“(Rouge SNCF Basile Pot).
 
Im gemeinsamen Solidaritätsaufruf der zwei größeren trotzkistischen Gruppierungen LO und LCR vom 15. November heißt es: Lutte Ouvrière und die Ligue Communiste Revolutionnaire treten ein für eine massive und entschlossene Widerstandsbewegung der gesamten Arbeitswelt, damit die Unternehmerschaft und die Regierung zurückweichen müssen. Auch Attac solidarisiert sich mit den Streikenden.