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"linke"-AutorInnen empfehlen Bücher

24.04.2007

Buchkäufe zu Weihnachten in letzter Minute oder Umsetzung von Geldgeschenken. "linke"-AutorInnen helfen mit Büchertipps.

Monika Mokre empfiehlt:
John Holloway, Die zwei Zeiten der Revolution. Würde, Macht und die Politik der Zapatistas.
Aus dem Englischen und Spanischen übersetzt und eingeleitet von Jens Kastner. 110 S. , EUR 10,-; Verlag Turia + Kant; ISBN 3-85132-458-7, 2006

Die Erhebung der Zapatistas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas ist seit ihrem Beginn im Jahr 2004 Thema zahlreicher linker Diskurse. Unterschiedliche Faktoren und Strategien dieser Bewegung der unterdrückten indigenen Bevölkerung haben zu ihrer internationalen Prominenz beigetragen. Da ist einmal die Verknüpfung eines lokalen Kampfes mit Fragen der Weltwirtschaftsordnung, symbolisiert dadurch, dass der erste Tag des zapatistischen Aufstands auch der Tag war, an dem das Nordamerikanische Freihandelsabkommen, NAFTA, in Kraft trat. Da ist andererseits das Bestehen auf den bewaffneten Kampf (obwohl es nur im ersten Monat tatsächlich zu Kampfhandlungen der Zapatistas kam) in Kombination mit Formen symbolischer Politik, insbesondere der poetischen Sprache der zapatistischen SprecherInnen. Da ist schließlich die Abkehr von zahlreichen marxistischen Konzepten – die Zapatistas haben keine ausgearbeitete Theorie, stellen keinen Avantgarde-Anspruch und verzichten auf die Eroberung von Staatsmacht. „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“, lautet denn auch der Titel von John Holloways Analyse des zapatistischen Politikverständnisses, deutsch erschienen im Jahr 2002.
Nun hat der Verlag Turia + Kant ein kleines Buch mit Aufsätzen von Holloway herausgebracht, eingeleitet durch einen ausgezeichneten einführenden Text von Jens Kastner. Die zahlreichen Anregungen, die die Linke aus der zapatistischen Bewegung und ihrer Interpretation durch Holloway gewinnen kann, werden darin ebenso deutlich wie die Probleme und Unklarheiten dieses Politikverständnisses. Die Zapatistas stellen staatlicher Macht ein breites Verständnis von Demokratie entgegen, das sie insbesondere in der so genannten Zivilgesellschaft verankert sehen. Offen bleibt dabei, welche Organisationen der Zivilgesellschaft zuzurechnen sind und von welchen Teilen der Zivilgesellschaft fortschrittliche Politik zu erwarten ist. Offen bleibt auch, wie eine Neukonstitution von demokratischer Gesellschaft zu denken ist, die nicht auf der Eroberung und Nutzung von Staatsmacht, sondern auf „anderen sozialen Beziehungen“ (S. 17) beruht. Wenn „individuelle moralische Verantwortlichkeit statt der Einordnung in bzw. der Unterordnung unter eine Partei“ (S. 19) gefordert wird, klingt dies stark nach Entpolitisierung von politischem Handeln. Die Widersprüchlichkeiten der zapatistischen Positionen werden nicht zuletzt im realpolitischen Kontext deutlich – wenn etwa die Zapatistien selbst eigentlich von den von ihnen einberufenen „Intergalaktischen Treffen“ ausgeschlossen sind, da sie nicht auf Bewaffnung verzichten. Oder wenn sich die aufständische Bewegung im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca bewusst anders organisiert als die Zapatistas – nämlich als Volksaufstand, nicht als militärische Bewegung – und andere Ziele setzt, nämlich sehr wohl die Übernahme der Staatsmacht in Form der Besetzung des Gouverneurspostens. Und auch die aktuellen Entwicklungen der zapatistischen Bewegung selbst, die Selbstverwaltung bestimmter Regionen, wirft grundsätzliche Fragen auf: Die „gute Regierung“ der Zapatistas unterscheidet sich in ihrer Räteorganisation und ständigen Abwählbarkeit grundlegend von staatlichen Strukturen im Kapitalismus, doch eine Regierung ist sie allemal und ihre „radikale Unterscheidbarkeit von instrumenteller Macht“ kann daher bezweifelt werden.
Fragen und Zweifel sind bekanntlich ein guter Ansatz für politisches Denken und Handeln. Weswegen „Die zwei Zeiten der Revolution“ auch frag- und zweifellos als Lektüre und Geschenk empfohlen werden können. Ebenso übrigens wie die vier vorigen Bände in der Turis+Kant-Reihe „es kommt darauf an. Texte zur Theorie der politischen Praxis“.

Gudrun Hauers Buchtipps:
Sigmund Freud - Anna Freud Briefwechsel 1904-1938. Hg. von Ingrid Meyer-Palmedo.
680 Seiten, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006. Euro 35,90,–

Anlässlich des Sigmund-Freud-Gedenkjahres zum 150. Geburtstag des Begründers der Psychoanalyse liegt nun erstmals der fast vollständig veröffentlichte Briefwechsel zwischen Freud und seiner Tochter Anna Freud vor, der 1904 beginnt und mit seinem Tode 1938 endet. Der intensive schriftliche Dialog der Beiden ist eine außergewöhnliche und unverzichtbare Fundgrube für alle an der (Früh)Geschichte der Psychoanalyse Interessierten..

Claudia Erdheim: Längst nicht mehr koscher. Die Geschichte einer Familie. 417 Seiten, Czernin Verlag, Wien 2006. Euro 24,80,–

Die Wiener Schriftstellerin Claudia Erdheim spannt in ihrer romanhaften Familiengeschichte den Bogen von Galizien bis Wien, bindet diese in die damaligen politischen Kontexte (ArbeiterInnenbewegung der Ersten Republik, Holocaust, Widerstand) ein und verdeutlicht das Spannungsfeld von Assimilation, Integration versus Separation der einzelnen jüdischen Familienmitglieder. Sie zeigt zugleich eindringlich, wie Politik auch die scheinbar „privatesten“ Beziehungen beeinflusst und während des Nationalsozialismus zerstört.

Unseres Filmredakteurs Kurt Hofmanns Lieblingsbuch:
Kino Ohne Land. hgg. von Ruth Kaaserer und Almut Rink

Erinnerung: Rüdiger Vogler als Reanimator. Wie er in "Im Lauf der Zeit" von Wenders  Kinoprojektoren repariert, diese (und somit die potentiell Todgeweihten) noch einmal ins Leben  zurückholt. Eine Landreise entlang der Ödnis und dem Verfall einstigen Glanzes. "Tonkino Haitzendorf": Der Name - ein Programm. "Sommerkino Haitzendorf": Ein Versprechen mit Ablaufdatum. Reanimation: Im Rahmen eines Kunstprojektes von Ruth Kaaserer und Almut Rink wird das längst geschlossene Lichtspieltheater in der "Pampa" noch einmal aufgesperrt. Eine Anregung, die nicht fruchtet. Reflektion: Wie das Kino in der Provinz, seltenen Tierarten gleich, auszusterben droht. Hoffnung: Weshalb es weder notwendig ist, zu resignieren, noch sinnvoll, zu  verklären, beweisen die Kinobetreiber in Drosendorf, die ihr Publikum gesucht und gefunden haben, mit den guten alten Projektoren und dem guten neuen Kino. Soziokulturelle Entwicklungen werden thematisiert, RegisseurInnen eingeladen, aktuelle Filme als Spiegel der Verhältnisse. Ulrich Seidls "Mit Verlust ist zu rechnen", in der Umgebung von Drosendorf gedreht, lockt gar 500 BesucherInnen an. Mittlerweile hat das Beispiel Drosendorf in benachbarten Ortschaften Folgen gezeitigt: neue Programmkinos entstehen und wecken Interesse.
"Kino ohne Land" erkundet die Ränder der Kinolandschaft. Eine Spurensuche, begleitet u.a.von Texten der cinephilen Schriftstellerin Ilse Aichinger, Porträts der letzten KinoenthusiastInnen (auch der Wiener Kinoki-MikrokinobetreiberInnen, somit von den Rändern ins Zentrum und folgerichtig  an dessen Rand gelangend) sowie einer Reminiszenz an einen Film von Wenders, der eine Hommage an die Vergessenen und im Schatten agierenden, doch nie hoffnungslosen, war. "Kino ohne Land" ist, auch dank der graphischen Gestaltung, ein passendes Geschenk für LiebhaberInnen der Siebten Kunst.