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Von Moses zu Jerry Lewis

Kurt Hofmann

Zur Viennale 2013: Ein Interview mit Hans Hurch Mit dem Viennale-Direktor sprach Kurt Hofmann für Die Linke über die Retro, das diesjährige Gesamtprogramm und kulturpolitische Aspekte.

25.10.2013

Neben neuen Filmen von „üblichen Verdächtigen“ wie Woody Allen, Johnny To, den Coen  Brs, Francois Ozon, Werner Herzog u.a., ist dem Komiker Will Ferrell ein Tribute gewidmet. Einem anderen, legendären Comedian gilt die diesjährige Retro im Filmmuseum: Jerry Lewis – not to be missed. Ein zentraler Film des diesjährigen Programms verspricht „Le Dernier Des Injustes“ („Der Letzte der Ungerechten“) von Claude Lanzmann zu werden, ein dreieinhalbstündiges Porträt Benjamin Murmelsteins, der von September 1944 bis Mai 1945 dem Judenrat im KZ Theresienstadt vorstand. Hochinteressant auch die Gelegenheit, sich auf zwei große Serials der Filmgeschichte im Rahmen der Viennale einzulassen: Louis Feuillades „Tih-Minh“ und Jacques Rivettes „Out 1“, (letzteres zumindest angekündigt) in Anwesenheit von Jean-Pierre Leaud… Einiges muss hier naturgemäß unerwähnt bleiben, doch ist auch das Viennale-Programm des Jahres 2013 vielschichtig und differenziert, ein Angebot für Neugierige.

Zum letzten Mal gibt es – anlässlich der Viennale – die Gelegenheit, das („alte“) Stadtkino zu besuchen, das in „Kino am Schwarzenbergplatz“ umbenannt wurde. Nicht nur der Viennale wird dieses Kino künftig fehlen, sondern allen, die das Kino lieben und dies nicht nur vorgeben.

Die Viennale-Kinos: Gartenbau, Urania, Metro, Stadtkino im Künstlerhaus (ehemals: Künstlerhaus-Kino), Kino am Schwarzenbergplatz (ehemals: Stadtkino)

Alle Infos, alle Termine: www.viennale.at

Die Viennale 2013 findet vom 24.10. – 6.11.2013 statt.

 Die Linke: Wenn es in der Viennale Pressekonferenz hieß, dass Jerry Lewis das Publikum so teilt wie einst Moses das rote Meer, so schien und scheint mir diese Aussage als besonders einsichtig. Denn das war wohl das Spezifische  und das Neue an Lewis, dass sich da einer nicht an Absprachen hielt und damit Reaktionen provozierte. Dass Kunst spalten und nicht falsches Einverständnis stiften sollte: dafür hat einer wie Jerry Lewis in exemplarischer Weise durch sein (Selbst-) Verständnis für Komik gesorgt…

Hans Hurch: … weil jede große, neue, radikale Form, ob in der Musik, der Malerei, im Theater oder im Kino zuerst einmal die Menschen spaltet. Später wird diese Spaltung durch die Geschichte meist wieder ein wenig zugekleistert. Das Interessante ist, dass derlei Metamorphose im Fall von Jerry  Lewis ausgeblieben ist: zum einen war Jerry Lewis einer der erfolgreichsten Entertainer aller Zeiten, zum anderen hat man ihn, insbesondere in den USA, immer wieder als „unseriös“ abgetan, das sei doch nur ein „fall guy“, ein Blödler, der sich fallen lasse… Dieses Misstrauen, diese Vorurteile, diese permanente Ablehnung seiner Arbeit: so, wie Jerry Lewis polarisiert, gereicht ihm das zum Ehrenzeichen, denn es steht auch damit im Zusammenhang, wie er in seiner Zeit sehr konkret bestimmte Vorstellungen der US-Amerikaner von sich selbst, gesellschaftliche Hierarchien, das Männerbild… spielerisch zum Vorschein gebracht und konterkariert hat. Das kann man, abseits eines vordergründigen Verständnisses, als politisch betrachten. Jerry Lewis ist ein großer Filmemacher und ein großer Schauspieler – beides von singulärem Rang.

Die Linke: Die spezifische, körperbetonte Form der Lewischen Komik ist nicht ohne Folgen geblieben. Es gibt im aktuellen US-Kino, nicht wenige „Erben“ wie Adam Sandler, Jim Carrey etc. Wie ist das mit den Querverbindungen und wie läßt sich Will Ferrell, dem heuer ein Tribute gewidmet ist, da einordnen?

Hans Hurch: Es gibt mehrere begleitende Veranstaltungen zuu Jerry Lewis im Rahmen der Viennale. Da wäre „Call Me Mr. Lewis“, eine Diskussion mit Adrien Martin, Johnathan Rosenbaum und Mehrnaz Seedvafa (27.10.13, 18h, Viennale Festivalzentrum), drei Lewis-Kennern, die diesen sicher in einen Zusammenhang stellen werden,und zwar nicht nur nach hinten, nicht nur ins Aktuelle, sondern auch nach vorne, zu Chaplin, Keaton usf., denn Jerry Lewis war ja stark von diesen beeinflusst. Ich finde, dass Will Ferrell nicht so viel mit Jerry Lewis zu tun hat. Trotzdem beschäftigt sich eine Diskussion unter dem  Titel „Safety Last: From Lewis to Ferrell“ (5.11.13, 18.00h, Viennale Festivalzentrum, mit Emmanuel Burdeau, Chris Fujiwara und Andrea B.Braidt) mit eben diesen Verbindungen – oder Nicht-Verbindungen und stellt Fragen nach Followern und einer möglichen Weiterentwicklung. Eine sehr schöne und lebendige Auseinandersetzung mit Jerry Lewis ist der halbstündige Film „Jerry & Me“ der iranisch-stämmigen Filmemacherin und –wissenschaftlerin Mehrnaz Seedvafa, die ihre eigenen Biographie ein wenig mit Jerry Lewis verwebt. Das beginnt im Iran, als man dort noch Jerry Lewis Filme sehen durfte. Sie sagt: „For me, Jerry Lewis was America“. Später, in den USA, wurde Mehrnaz Seedvafa Filmwissenschaftlerin, hat (unter anderem) auch über Jerry Lewis unterrichtet und diesen später auch selbst kennen gelernt.

Die Linke: Zu Will Ferrell: Auf den ersten Blick ist das, im Kontext vergangener Viennale-Jahre, ein überraschender Schwerpunkt… Wie ist es zu diesen Tribute gekommen?

Hans Hurch: Mein „Will Ferrell-Erlebnis“ war  vor drei Jahren. Damals haben wir als Überraschungsfilm der Viennale „The Other Guys“ gezeigt. Zum einen war im Saal eine unglaubliche Stimmung, zum anderen hat eine Besucherin schon nach fünf Minuten den Saal verlassen und mir dabei  im Vorbeigehen „Schämen Sie sich!“ zugeraunt… Diese Ambivalenz hat mich interessiert, wie da einer nicht der Weihen eines Festivals für würdig befunden wird und vielseitige Reaktionen auslöst… Mich interessiert Will Ferrell mehr als Adam  Sandler oder andere vergleichbare US-Komiker der Zeit, die sind mir alle zu mainstreamig, sie haben zu wenig Abgründiges. In Will Ferrells Komik gibt es immer wieder radikale Momente. Interessanterweise waren seine Filme in Europa großteils Misserfolge. Was mir bei Will Ferrell gefällt, und vielleicht ist das auch die Verbindung zu Jerry Lewis, ist,  wie er immer wieder diesen Mann, der erwachsen werden will, in den Mittelpunkt seiner Komik stellt, wie da einer nicht „seinen Mann“ stehen will, sondern, dass es eigentlich am schönsten ist, verantwortungslos sein zu können… Es geht um die Reibungsfläche zwischen einem Einzelnen und der Gesellschaft, dem komisch entgegenzutreten gleicht einer Waffe in einer ungleichen Konfrontation…

Die Linke: Ein von Alvaro Arroba kuratiertes Programm präsentiert mit Gonzalo Garcia Pelayo einen Regisseur, welcher, dreißig Jahre, nachdem er das Filmemachen – vorläufig – aufgegeben hat, da  er  sich „vom Kino verlassen“ fühlte, es nun mit „Alegrias de Cadiz“, den die Viennale als Weltpremiere zeigt, wieder versucht. Angst vor dem Scheitern hat er wohl kaum, entwickelte Pelayo mit seinen Brüdern doch ein sicheres System zum Sprengen diverser Casinos…Dieses Tribute garantiert wohl eine interessante Begegnung…

Hans Hurch: Pelayo, dessen filmisches Werk, zwischen 1976 und 1982 entstanden, außerhalb Spaniens kaum bekannt ist, hat eine wichtige Phase der spanischen Geschichte mit seinen Filmen thematisiert. Mit dem Ende der alles erdrückenden Franco-Diktatur kommt eine Zeit des Übergangs. Jetzt ist einer wie Pelayo am Zug und macht alles, was man bisher nicht machen durfte, durchbricht Tabus, auf politischer Ebene, in der Darstellung der Sexualität, im Verhältnis zur Francos System miterhaltenden Kirche… Er nähert sich all dem aber nicht um jeden Preis modernistisch, sondern bezieht sich zugleich auf alte, sehr schöne Momente und Traditionen, die im Volk wurzeln. Diese Filme, fünf in acht Jahren, sind aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Bisweilen erinnern sie an Godard, manchmal auch an Rossellini, stets aber sind sie unverwechselbar. Es ist auch ein sehr lokales Kino: alles ist Andalusien. Pelayos Filme sind eine filmische Entdeckungsreise wert und verdienen Beachtung.

Die Linke: Claude Lanzmanns „Le Derenier Des Injustes“ (Der Letzte der Ungerechten) über Benjamin Murmelstein, der Rabbiner in Wien war  und von 1944 bis 1945 dem Judenrat im KZ Theresienstadt vorstand, ist, nicht zuletzt, weil Lanzman diesen häufig denunzierten Mann in einem völlig neuen Licht zeigt, das der realen Persönlichkeit Murmelsteins gerecht wird, ein programmierter Höhepunkt er diesjährigen Viennale. Was kann der Zuschauer/die Zuschauerin nach dreieinhalb Stunden Kino erfahren?

Hans Hurch: Wie man über eine Zeit, die einem völlig durchschaubar und erklärbar scheint und zu der man – hoffentlich – eine klare Haltung hat, anhand der Biographie Murmelsteins noch einmal neue Überlegungen anstellt und sich fragt, was hätte ich an seiner Stelle gemacht? Hätte ich auch die Größe gehabt, in London angekommen und gerettet, wieder zurückzufahren so wie Murmelstein, der sein Volk nicht alleine lassen wollte? Dieser Mann hat so vielen Menschen das Leben gerettet, die oft nicht einmal wissen, dass er es war, der sie gerettet hat. Murmelstein hat schon sehr früh gewusst und erfasst, wozu die Nazis imstande sind und hat Wege gesucht und gefunden, jüdische Menschen dem Zugriff der Mörder zu entziehen. Diesem Ziel ordnet er, der begnadete Organisator, alles unter, häufig wird seine Konsequenz missverstanden. Als im KZ die Cholera ausbricht, sagt er, als „Lagerältester“, zu seinen Mitgefangenen, wenn wir die Cholera hier nicht selbst wegkriegen, dann fackeln uns die morgen bei lebendigen Leib ab   und wir sind alle tot, denn die Nazis zögern nicht, zumal sie Angst haben, selbst von der Cholera angesteckt zu werden. Schnell handeln und das als notwendig Erkannte unmittelbar durchsetzen, so agiert Murmelstein an allen Stationen seines (stets bedrohten) Lebens, wird als autoritär bezeichnet, wo er kraft  seiner Autorität Leben rettet. Wenn es notwendig ist, taktiert und verhandelt er, stets mit klarem Verstand und Ziel. Lanzman meint zu Murmelstein, auch dieser sei nur eine Marionette gewesen. Murmelstein antwortet  ihm, so ist es, aber ich habe versucht, meine Fäden selbst zu ziehen. Oft agiert Murmelstein gewissermaßen mit Brechtscher List, wägt ab, was die Nazis denken, wie sie „funktionieren“, wo sie ihre Schwachstellen haben könnten… Claude Lanzmann nähert sich Benjamin Murmelstein anfangs mit Misstrauen und hat am Ende des Gespräches höchsten Respekt vor Murmelstein: „Der Letzte der Ungerechten“ ist ein wichtiger Film, der in  allen Schulen gezeigt werden sollte. Es ist das Verdienst Lanzmans, diese Zeugnis bewahrt zu haben.

Die Linke: Abschließend noch eine Frage zur Kulturpolitik: Nach den Wahlen, vor den Koalitionsverhandlungen. Einmal mehr ist die Kulturpolitik kein Thema, allenfalls wird überlegt, wohin man die kulturpolitische Zuständigkeit verramschen sollte. Ein Vorschlag an den Gewinner/die Gewinnerin dieser Verlosung, wie es – nach Jahren des Leerlaufs – weitergehen könnte…

Hans Hurch: Claudia Schmied hat 80% ihrer Zeit mit der Schulpolitik verbraucht und war auch innerhalb der verbleibenden 20% für die Kultur kaum präsent. Aber, unabhängig von der Person der bisherigen Kulturministerin, ist es wohl eine grundsätzliche Haltung der Politik, dass Kultur nur als ein imagebedingt halt notwendiges, irgendwie zu verwaltendes Anhängsel betrachtet wird. Ich fürchte, dass es in der Konsequenz nicht mehr Geld für Kultur geben wird, deshalb plädiere ich für eine Umverteilung von den großen Tankern nach „unten“. Die Gegenwartskunst kommt in der aktuellen Förderung entschieden zu kurz, und bei der Filmförderung bildet sich in Form der  Vernachlässigung der „Kleinen Förderung“ für den innovativen Film die Gesamtthematik noch einmal ab… Naturgemäß soll keine Neiddiskussion angezettelt werden, und wenn es möglich ist, mehr Geld für die Kultur zu lukrieren, wunderbar, aber Umverteilung ist kein böses Wort, sondern eine legitime Forderung, gesellschafts- wie kulturpolitisch.

Die Linke: Und jetzt noch, wie immer: die Geheimtipps des Viennale-Direktors?

Hans Hurch: Derer gäbe es viele. Hier einige wenige: Etwa der argentinische Film „Los Duenos“ (Die Besitzer; Argentinien 2013; Regie Agustin Toscano, Ezequiel Radusky), eine sehr witzige Parabel.  Ein großes Herrschaftshaus steht leer,  dann daneben ist ein kleines Haus, wo die Domestiken wohnen, eine Hausmeisterfamilie, die irgendwann beschließt, ins große Haus zu ziehen. Bevor sie einmal von den Eigentümern überrascht werden, entdecken sie, dass  der Hausherr fremdgeht und drehen die Verhältnisse um… Oder: „L’Image Manquante“ (Das fehlende Bild; Kambodscha/Frankreich 2013) von Rithy Panh über die Verbrechen der „Roten Khmer“ und wie diese alle Bilder, die ihren eigenen Propagandabildern zuwiderlaufen, ob dokumentarisch oder fiktiv, zum Verschwinden bringen. Rithy Panh läßt die Khmer-Diktatur aus der „Kindersicht“ mit bemalten Tonfiguren wieder auferstehen – ein intelligenter und ungewöhnlicher Film.

Wir danken für das Gespräch.