die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel Kultur & Film Allzuviel ist ungesund
Adresse: https://dielinke.at/artikel/kultur-film/allzuviel-ist-ungesund/

Allzuviel ist ungesund

Kurt Hofmann

Zu Werner Bootes Film „Population Boom“ (Filmstart: 20.September 2013)

20.09.2013

Die „Wenn-Dann“-Geschichten beginnen in der Kindheit, ausgestreut von besorgten Eltern zu pädagogischen Zwecken. Wenn das Kind eine bestimmte Handlung setzt, die dem Erziehungsplan seiner Erzeuger widerspricht, dann könnte Entsetzliches, nicht mehr Kontrollierbares passieren, und niemand wäre imstande, dem Kind in der Folge noch zu helfen, nicht einmal dessen besorgte Eltern. Doch kaum sind die aus dem Haus, zündelt das unbelehrbare Kind schon: “Doch Minz und Maunz, die Katzen, erhaben ihre Tatzen, / Sie drohen mit den Pfoten: Die Mutter hat’s verboten! / Miau! Mio! Miau! Mio! Wirf’s weg! Sonst brennst du lichterloh!“ Das unbelehrbare Paulinchen ist daraufhin jämmerlich verbrannt, die mit „Wenn-Dann“-Geschichten Aufgewachsenen und erfolgreich Instruierten haben aber ihre Lektion gelernt und sind nun reif für die erwachsene Version der „Wenn-Dann“-Geschichten. Solchermaßen ist, unerlaubter gesellschaftlicher Abweichungen eben, schon mehrfach das Abendland untergegangen, die westliche Zivilisation, wie wir sie kennen, wurde von ihren Feinden usurpiert und nach deren Willen umgeformt, die kinderfressenden Kommunisten haben den Radikalislamisten die Klinke in die Hand gegeben, die heimischen Unternehmer sind alle nach Kasachstan geflohen, weil sie die hohen Steuern nicht mehr zahlen konnten, der Schuldenberg kann wegen anhaltendem Schlechtwetter nicht mehr bestiegen werden, und alle wollen plötzlich bei uns leben, obwohl sie es doch im fernen Daheim so schön hätten. Als ob man nicht zeitgerecht gewarnt hätte: Wenn-Dann…

Nur noch selten wird der Holzhammer eingesetzt. „ExpertInnen“ warnen nun, anstelle (und im Auftrag) der „eigentlichen“ Interessenten vor dem Unvermeidlichen. Die „wissenschaftliche Aufbereitung“ lässt eine altbekannte „Wenn-Dann“-Geschichte wie die Bevölkerungsexplosion und deren Folgen für den Planeten bedrohlicher denn je erscheinen. Sieben Milliarden Menschen! Und jede/r will ernährt werden! 1976, einige Jahrzehnte und mehrere Populationsmilliarden davor, notiert Susan George in „How the other half dies“: „Und noch ein weiterer Beweis dafür, dass die Bevölkerungsdichte in keinerlei Beziehung zur tatsächlichen Nahrungsversorgung steht: Hungersnot gibt es sowohl in Bolivien mit 5 Einwohnern pro Quadratkilometer, als auch in Indien mit 172 – nicht aber in Holland, wo 326 Menschen pro Quadratkilometer leben.(…) Viele Inder und Bolivianer sind am Verhungern, während Holland seinen eigenen Bedarf vollständig deckt und außerdem noch exportiert. Bislang hat die Presse noch keine Geburtenkontrolle für die Holländer gefordert, die nichtsdestoweniger nur über ein Fünftel dessen der Inder verfügen.“ (Susan George/“Wie die anderen sterben“/Rotbuch-Verlag, dt.Ausgabe:1978)

Der österreichische Dokumentarist Werner Boote („Plastic Planet“) hat sich in seinem neuen Film „Population Boom“ dem „Wenn-Dann“ im allgemeinen und der „Bevölkerungsexplosion“ im besonderen gewidmet. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen: An John Steed gemahnend, mit Schirm, Charme und - Anzug, will Werner Boote wie dieser ein „Rätsel“ lösen, fährt zu diesem Zweck um die „halbe Welt“, macht Station in New York, Peking, Mumbai, Nairobi, Tokio, Dhaka und Tongi.; spricht mit Lenkern wie mit (Vor-)Denkern. Setzt Stein um Stein in sein Puzzle ein, bis sich ein Bild ergibt: jenes der ungleichen Verteilung der Ressourcen…

Werner Boote ist offenkundig das österreichische Pendant zu Michael Moore. Gleich diesem wirkt auch er in seinen Filmen omnipräsent, die Selbstinszenierung, die Gags, sind ein wichtiger Teil des Ganzen, das Ostentative befördert die beabsichtigte Aufklärung. Hatte Boote in „Plastic Planet“ noch einer ehemaligen EU-Umweltkommissarin einen Plastikglobus überreicht, sozusagen als plastisches Bild der Lage, so bietet er sich „Population Boom“ einer NGO-Aktivistin als Schirmherr an, indem er seinen Parapluie aufspannt, der mit dem Emblem der Weltbank bedruckt ist. Das wird wunschgemäß von der Gesprächspartnerin abgelehnt…

Dieses Herunterbrechen zahlreicher (Film-)Erzählungen auf die Pointe transportiert bei Boote bisweilen so manche hörenswerte „Wuchtel“: „Würde man alle Menschen der Welt nach Österreich verfrachten, jeder von uns bekäme 11 Quadratmeter. Das ist mehr, als einem zusteht, der lebenslang eingesperrt ist. „ (Werner Boote in „Population Boom“)

In Bootes Sprachfindung gibt es stets ein „Wir“ und ein „uns“, anders als in der Realität einer Klassengesellschaft.

„Sein“ Publikum ist Boote unmittelbarer Ansprechpartner: diese direkte Adressierung ist auch das Geheimnis des Erfolges beim österreichischen Kinopublikum, dessen von den etablierten Medien nicht erfüllbarer Wunsch nach einer Gegenöffentlichkeit wird hier zumindest simuliert und dabei jedenfalls nicht durch Distanznahme und analytische Differenziertheit erschwert.

Bootes sorgfältige Recherche ermöglicht es, das politische Kalkül der „Wenn – Dann“-Legenden in Sachen „Überbevölkerung“ immer wieder zu konterkarieren. Etwa, wenn ein Satz in einem Gespräch mehr sagt als „tausend Worte“, wie jener, dass das Pentagon täglich mehr Erdöl verbraucht als ganz Schweden… Oder, wenn offenkundig wird, dass zuviel auch mehr sein kann: Als Boote auf dem Dach eines völlig überfüllten Zuges in Togi, Bangladesch, mitfährt und seine Gefühle schildert, wie ihn andere Mitreisende zur Sicherheit am Fuß festhalten oder bei der Einfahrt in einen Tunnel seinen Kopf rechtzeitig in eine geduckte Stellung bringen, auf dass er sich nicht stoße, entsteht, während er seine Befindlichkeit artikuliert, ein Begriff, der nicht ausgesprochen, aber präsent ist: Solidarität.

Wenn Brecht schreibt, dass das Verbrechen Name und Anschrift habe, so präsentiert Boote - in übertragenem Sinne – eine Person als Schlüsselfigur (welche für die Gralshüter des „Wenn-Dann“ steht): den Medienmogul Ted Turner, der geradezu darauf versessen ist, die „Gefahren der Bevölkerungsexplosion“ zu thematisieren. Und wieder die unbelehrbaren Kinder, hier die Bevölkerung des Südens. Ein Muster wird sichtbar: Turner als zeitgenössischer Missionar, der – diesmal „wissenschaftlich“ und mit den Mitteln der modernen Technik – wie eh den „Wilden“ die zivilisierte Welt erklärt, zu ihrem Besten, versteht sich, auch hier ein Deja-vu: wie je dient diese Belehrung der Verschleierung kolonialer Verhältnisse.

Boote fungiert in „Population Boom“ als „Suchender“ und als Mittelsmann, als go-between zwischen den Entscheidern und den Ausgestoßenen, als (sichtbarer) Bote der „abstrakten“ Information. Er ist - in doppeltem Sinn – stets im Bilde und sorgt dadurch (auch) für Erkenntnisgewinn.

Allzuviel, sagt die besorgte Mutter dem nach einer weiteren Portion verlangenden Kind, sei ungesund. Der – ungesunde – Drang nach mehr, die (Profit-)Gier und der daraus resultierende Wunsch nach Verdrängung evozieren die „Wenn-Dann“Mär von der „Bevölkerungsexplosion“ - das zeigt „Population Boom“ auf eindringliche Weise und ist somit letztlich ein überzeugender Beitrag in Sachen Gegeninformation, diese wiederum ist heute nötiger denn je.