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Was will die "Occupy-Wall-Street"-Bewegung? Eine neue Wirtschafts-Charta im Internet

Im Internet entsteht derzeit das Programm der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Bisher wurde ein Text von 70 Seiten zusammengestellt, der auf den wöchentlichen Generalversammlungen im Zuccotti-Park diskutiert wird und dort Ende November verabschiedet werden soll.

10.11.2011



Im Internet entsteht derzeit das Programm der Occupy-Wall-Street-Bewegung: http://tapnec.wikispaces.com. Nach dem Verfahren von Wikipedia wurde bislang ein Text von 70 Seiten zusammengestellt, der auf den wöchentlichen Generalversammlungen im Zuccotti-Park diskutiert wird und dort am 20. November verabschiedet werden soll.
Das Programm entstand aus der Erklärung der Besetzer von New York vom 29. September 2011 (http://occupywallst.org/forum/ first-official-release-from-occupy-wall-street), das einen Katalog von Beschwerden darstellt. Die Redakteure aktualisieren das Dokument ständig mittels des Systems des crowd sourcing, das auch zur Aktualisierung von Wikipedia dient. Daraus ist ein oft inkohärentes und widersprüchliches Ganzes hervorgegangen, aber mit einer Vorstellung von der Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen in den USA und einem sehr partizipativen Verfahren.

Die unterhaltsamste Sache an der American People’s New Economic Charter (APNEC) ist vielleicht die Tabelle, wie die Berufsgruppen in Zukunft «gerecht» entlohnt werden sollten: Demnach sollen Banker 20.000 US-Dollar im Jahr bekommen, die AnwältInnen 27.000, Bauarbeiter 25.000, Ärzte und Ärztinnen 28.000 Dollar – wenig mehr als KrankenpflegerInnen (27.500). Mehr verdienen sollten LehrerInnen, BibliothekarInnen, Lokführer,  Schiffskapitäne mit je 35.000 US-Dollar; PolizistInnen mit 36.000 US-Dollar ebensoviel wie UniversitätsdozentInnen und ForscherInnen. Alle diese Berufe sind höher eingestuft als die «Politik»: ParlamentarierInnen müssen sich mit 30.000 US-Dollar begnügen, der Präsident der USA erhält das höchste Gehalt: 40.000 US-Dollar. Für die SoldatInnen ist gar kein Gehalt vorgesehen, denn die Armee soll abgeschafft werden. Alle Jobs umfassen eine vollständige Krankenversicherung für die Beschäftigten und ihre Familie, Ruhestandsgelder und unentgeltliche Ausbildung der Kinder.

Zu den Forderungen gehören ein Konkursstopp, die Einführung der Tobinsteuer auf alle Finanztransaktionen, die Öffnung der Grenzen, massive Investitionen von einer Billion US-Dollar in die Infrastruktur, das Ende des nuklearen und fossilen Zeitalters durch Konzentration auf geothermische, hydroelektrische und Windenergie. Wasser soll nicht privatisiert werden, die internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank werden demokratisiert durch das Prinzip «Ein Land – eine Stimme».

Das Manifest sagt entschieden "Nein" zum Waffenschein, zur Werbung für Medikamente, zu Werbespots für Kinder und zu Wahlkampfspenden durch Verbände (nur BürgerInnen dürfen spenden, maximal 1.000 US-Dollar). Es fordert die Abschaffung von Obamas Gesundheitsreform und ihre Ersetzung durch ein universelles öffentliches Gesundheitssystem sowie mehr Mittel für die öffentlichen Schulen und eine drastische Beschneidung der Mittel für das Pentagon bis hin zu seiner Abschaffung.

Auf politisch-institutioneller Ebene wird eine Verfassungsänderung gefordert, die Regierungskoalitionen möglich macht; es soll Schluss gemacht werden mit dem Prinzip, wonach «der Sieger alles bekommt». Auch soll es die Möglichkeit geben, Korruptionsfälle zu untersuchen – heute sind sie nur Gegenstand von «internen Untersuchungen» im Kongress.
Gefordert wird außerdem die Verstaatlichung der Notenbank Federal Reserve und eine Transparenz ihrer Arbeit für die Öffentlichkeit, sowie den Umbau des bisherigen Steuersystems, das heute in den USA die Kapitaleinkommen bevorzugt und die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung benachteiligt.

Sicher ist das kein revolutionärer Plan. Im Übrigen steht im Vorwort zum Dokument,  die Vorschläge richteten «sich nicht gegen ein effizientes Funktionieren der Marktwirtschaft und die Verteilung der Kapitalien und der Innovationsanreize auf Unternehmen, Investoren und Konsumenten». Aber es reicht, um Amerika zu erschüttern.

Quelle: SOZ November 2011