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USA/China: Kalter Krieg gegen China

Bisher bestand die Haltung der Bush-Administration gegenüber China vor allem in der Sorge über die wachsende wirtschaftliche Stärke des asiatischen Landes. Doch mittlerweile bereitet Washington einen neuen Kalten Krieg vor.

24.04.2007

SEIT IHRER AMTSÜBERNAHME hat die Bush-Administration um ihre Haltung gegenüber dem langfristig kritischsten strategischen Problem für die USA gerungen: ob China als zukünftiger militärischer Gegner zu betrachten ist und dementsprechend Pläne zu machen sind oder ob es als Rivale im globalen kapitalistischen System anzusehen ist. Vertreter beider Perspektiven befinden sich in den Führungskreisen der Administration, und das Pendel ist periodisch auf die eine oder die andere Seite ausgeschlagen. Doch nach einem Zeitraum von vier Jahren, in dem keine der beiden Sichtweisen zu dominieren schien, hat sich das Pendel nun sichtbar auf die Seite der antichinesischen, für die Kriegsvorbereitung eintretende Seite geneigt. Drei Ereignisse sprechen für diese Änderung der Haltung.
Das erste war die Verabschiedung einer offiziellen Erklärung, die sich am 19. Februar 2005 für ein verbessertes Sicherheitsbündnis zwischen Japan und den USA aussprach. Die bloße Tatsache, dass US-amerikanische und japanische Offizielle Derartiges erörterten, erfüllte die Chinesen mit Sorge, doch was Peking am meisten erbitterte, war, dass sich die Erklärung für gemeinsame amerikanisch-japanische Anstrengungen aussprach, eine „friedliche Lösung von Fragen, die Taiwan betreffen, zu ermutigen“.
Das zweite Schlüsselereignis war eine Rede, die US-Verteidigungsminister Rumsfeld am 4. Juni auf einer Strategiekonferenz in Singapur hielt. Mit perfekter Unaufrichtigkeit stellte er fest: „Keine Nation bedroht China, und so muss man sich doch fragen: Warum diese wachsenden Investitionen? Wieso diese fortgesetzten umfassenden und massiver werdenden Waffeneinkäufe? Wieso diese fortgesetzten massiven Truppenaufmärsche?“ Rumsfeld stellte Chinas militärische Absichten auch im Oktober während seines Besuchs in Peking in Frage.
Peking muss über diese Kommentare erstaunt gewesen sein. Niemand bedroht China? Was ist mit den US-Plänen und -Kriegsschiffen, die sich ständig vor der chinesischen Küste aufhalten, mit den US-Nuklearraketen, die auf China gerichtet sind? Was ist mit den in den letzten zehn Jahren von den USA an Taiwan gelieferten, immer schlagkräftiger werdenden Waffen? Was ist mit den US-Basen, die China von allen Seiten einkreisen?
Das dritte bemerkenswerte Ereignis war im Juli die Veröffentlichung des Pentagon-Berichts über die militärische Schlagkraft Chinas, „The Military Power of the People‘s Republic of China“. Die veröffentlichte Version ist im Ton vielfach maßvoll. Doch die Hauptstoßrichtung des Berichts ist, dass China seine Fähigkeit, Kriege außerhalb seines eigenen Territoriums zu führen, erweitert und dass dies für die globale Ordnung eine gefährliche Herausforderung darstellt.
Das Pentagon geht zu einer streitbareren antichinesischen Haltung über – eine Haltung, die die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Wettlaufs zwischen den USA und China deutlich erhöht. Was steckt hinter dieser aktuellen Verschiebung? Zu ihren Wurzeln gehört der fortgesetzte Einfluss konservativer Strategen, die seit langem für eine Politik permanenter militärischer US-Dominanz eintreten. Diese Auffassung kam zum ersten Mal 1992 zum Ausdruck im Defense Planning Guidance für die Steuerperiode 1994–1999, eine Blaupause für die US-Vorherrschaft in der Ära nach dem Ende des Kalten Krieges.
Im neuen Jahrhundert kann die explizite Aufforderung, das Entstehen eines neuen Rivalen zu verhindern, „der eine Bedrohung in der Größenordnung derjenigen der früheren Sowjetunion darstellt“, sich nur auf China beziehen, da kein anderer potenzieller Gegner über eine glaubwürdige Fähigkeit verfügt, „zu einer globalen Macht zu werden“. Somit verlangt der langfristige Erhalt der amerikanischen Vorherrschaft die permanente Eindämmung Chinas – und genau dies haben sich die Rice, Rumsfeld und Co. vorgenommen, als sie Anfang 2001 ihre Posten übernahmen.
Dieses Projekt war schon angelaufen, als die Angriffe des 11. September stattfanden. Sie gaben den Neokonservativen grünes Licht für ihre ehrgeizigen Pläne, die Macht der USA über die ganze Welt auszubreiten. Doch die Schwerpunktverlagerung von der Blockade künftiger Rivalen zum Kampf gegen den Terrorismus ärgerte viele, die glaubten, dass der große Feldzug zur Eindämmung Chinas an Schwung verlieren würde. Zumindest einige US-Strategen, ganz zu schweigen von den riesigen Rüstungsunternehmen, sahen im „Krieg gegen den Terror“ eine Ablenkung, die zu ertragen sei, bis die Zeit reif sei für eine Wiederaufnahme der im Februar 2001 begonnenen antichinesischen Initiativen. Dieser Moment scheint nun gekommen zu sein.
Warum jetzt? Mehrere Faktoren erklären den Zeitpunkt dieser Verschiebung. Der erste ist zweifellos der Überdruss der Öffentlichkeit am „Krieg gegen den Terror“ und ein wachsendes Bewusstsein unter den US-Militärs, dass der Krieg im Irak zu einer Pattsituation geführt hat. Solange die öffentliche Aufmerksamkeit auf die täglichen Rückschläge und die Verluste an Menschenleben im Irak gerichtet ist – und, seit Ende August, auf die Verwüstung durch den Hurrikan Katrina –, wird die Unterstützung für die Militärpolitik des Präsidenten zurückgehen.
Gleichzeitig hat Chinas gewaltige wirtschaftliche Expansion schließlich begonnen, sich in eine Verbesserung seiner militärischen Kapazitäten umzusetzen. Wenngleich die meisten chinesischen Waffen hoffnungslos veraltet sind – in den meisten Fällen stammen sie von sowjetischen Modellen aus den 50er und 60er Jahren ab –, hat Peking einen Teil seines neuen Reichtums dazu verwendet, von Russland relativ moderne Waffen zu kaufen, darunter Kampfflugzeuge, Unterseeboote und Zerstörer. China hat auch sein Arsenal an Kurzstreckenraketen erweitert, von denen viele in der Lage sind, Taiwan und Japan zu erreichen.
Unter diesen Umständen erscheint einigen im militärischen Establishment der USA die Möglichkeit eines rasanten Rüstungswettlaufs mit China als ungewöhnlich vielversprechend. Dabei sind keinerlei amerikanische Menschenleben gefährdet. Jedes Blut-vergießen, sollte es dazu kommen, liegt in ferner Zukunft.

Diese Schritte werden durch den jüngsten Anstieg in antichinesischen Gefühlen unter der Bevölkerung gestützt, die zum Teil durch hohe Benzinpreise (die viele auf Chinas Durst nach Öl zurückführen), durch den stetigen Verlust amerikanischer Arbeitsplätze an die chinesische Niedriglohnindustrie sowie durch die (scheinbar) unverschämten Bemühungen von Chinas führender Ölgesellschaft, den Konzern Unocal zu erwerben, hervorgerufen wurden. Die Erkenntnis wächst, dass die USA und China an einem Wettstreit mit einem hohen Einsatz beteiligt sind, bei dem es um die Kontrolle der Ölvorräte der restlichen Welt geht.
Anfänglich war die Diskussion über Chinas verstärktes Streben nach ausländischem Öl weitgehend auf die Wirtschaftspresse begrenzt. Aber jetzt wird es zum ersten Mal als eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit betrachtet, d.h. als ein entscheidender Faktor für die Gestaltung der US-Militärpolitik. Offizieller Ausdruck wurde dem zum ersten Mal durch den oben erwähnten Pentagon-Bericht über Chinas Militärmacht verliehen: „China wurde 2003 zum zweitgrößten Konsumenten und drittgrößten Importeur von Öl.“
Während wahrscheinlich nichts von alldem einen sofortigen Bruch der amerikanisch-chinesischen Beziehungen herbeiführen wird – die eine wirtschaftliche Zusammenarbeit befürwortenden Kräfte sind dazu zu stark –, sind energische Forderungen nach einer ehrgeizigen US-Kampagne zur Neutralisierung der jüngsten militärischen Initiativen Chinas zu erwarten.
Diese Kampagne wird zwei Formen annehmen: erstens die Bemühung, weitere Gewinne Chinas an militärischer Stärke durch eine permanente militärtechnologische Überlegenheit der USA zu durchkreuzen; zweitens die fortgesetzte Einkreisung Chinas durch den weiteren Erwerb von Militärbasen und die Errichtung einer von den USA geführten antichinesischen Allianz.
Elemente dieser Strategie lassen sich etwa in der Aussage von Admiral William Fallon, dem Kommandeur des US Pacific Command, vom 8. März 2005 vor dem Senate Armed Services Committee ausmachen. Um Chinas jüngste Initiativen zu kontern, rief Fallon dazu auf, die Kampfkraft der US-Streitkräfte bei der Abwehr von Raketen und U-Booten zu stärken und die militärischen Bande Amerikas mit seinen alten und neuen Bündnispartnern der Region zu festigen. Bezüglich der Raketenabwehr bemerkte er, dass „die Entwicklung eines wirksamen, integrierten und abgestuften Systems gegen Marschflugkörper oberste Priorität“ haben sollte.

Man beachte, dass Fallon nicht von einem Konflikt spricht, der im zentralen oder östlichen Pazifik, in Reichweite der amerikanischen Küsten, geschehen kann; er spricht vielmehr von einem Sieg über chinesische Streitkräfte in deren Gewässern, an der westlichen Flanke des Pazifik. Dass die Strategie der USA auf die Eindämmung Chinas auf dessen eigenem Gebiet zielt, geht außerdem deutlich aus den Plänen hervor, die er für den Zweck einer verbesserten militärischen Kooperation mit den Verbündeten der USA in der Region beschreibt.
Typischerweise sollen zu dieser Kooperation die Lieferung von Waffen und militärischer Beihilfe, gemeinsame Manöver, die regelmäßige Beratung unter den hochrangigen Offizieren und in einigen Fällen die Ausweitung (oder Errichtung) von US-Militärbasen gehören.
Die chinesische Führung ist sich ihrer krassen militärischen Unterlegenheit gegenüber den USA bewusst und wird daher erwartungsgemäß eine riskante Konfrontation mit Washington zu vermeiden suchen. Aber jede Nation, die vor ihren Küsten mit der massiven militärischen Aufrüstung eines potenziellen Kontrahenten konfrontiert wird, muss sich bedroht fühlen und wird dementsprechend antworten. Für China, das in den letzten Jahrhunderten wiederholt Opfer von Invasionen war und von fremden Truppen besetzt wurde und das in Korea und Vietnam mit den US-Streitkräften kollidierte, muss die US-Aufrüstung vor seiner Haustür besonders bedrohlich erscheinen.
Es ist daher kaum überraschend, dass Peking nach modernen Waffen und Kapazitäten gestrebt hat, um den wachsenden Vorsprung Amerikas auszugleichen. Es überrascht auch nicht, dass China bestrebt war, seine militärischen Verbindungen mit Russland zu festigen – die beiden Länder hielten im August gemeinsame Manöver ab, die erste bedeutende Demonstration militärischer Zusammenarbeit der beiden Länder seit dem Koreakrieg – und seine Nachbarn davon abzuhalten, US-Basen zu beherbergen. Wenngleich von Natur aus defensiv, werden diese Schritte jenen in Washington zusätzliche Munition liefern, die darin eine chinesische Kampagne um regionale Hegemonie sehen und daher eine noch größere US-Kapazität anstreben, um Chinas Streitmacht zu übertreffen.
Dies alles führt dazu, dass das Pendel weiter zugunsten einer feindseligeren Haltung der USA gegenüber China ausschlägt. Doch ein solches Resultat ist nicht vorherbestimmt. Zukünftige ökonomische Faktoren
– z.B. ein starker Anstieg der US-Zinsraten
– könnten jene in Washington stärken, die einen Bruch in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen verhüten wollen.

Die Debatte über Chinas militärische Stärke und die angebliche Notwendigkeit für eine stärkere Aufrüstung der USA, um Chinas jüngste Anschaffungen neuer Waffen zu kontern, wird in den kommenden Monaten und Jahren zunehmend hitziger werden. Die Infragestellung der übertriebenen Behauptungen des Pentagon hinsichtlich der Stärke Chinas und der Widerstand gegen den Trend zu einer raueren militärischen Gangart gegenüber China sind wesentlich, wenn wir einen kostspieligen und gefährlichen Kurs vermeiden wollen.
MICHAEL T. KLARE (Der Autor ist Mitarbeiter der US-Zeitschrift The Nation; Übersetzung: Hans-Günter Mull, SOZ)



26-01-2006, 19:14:00 |