die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel International Thailand: Was wollen die Rothemden?
Adresse: https://dielinke.at/artikel/international/thailand-was-wollen-die-rothemden/

Thailand: Was wollen die Rothemden?

Mitte April eröffnete das Militär in der thailändischen Hauptstadt Bangkok Feuer auf DemonstrantInnen, nachdem die Proteste, die den Rücktritt des thailändischen Premierministers Abhisit Vejjajiva forderten, eskaliert waren. Wer sind die "Rothemden", die eine so heftige Protestbewegung entfachten?

27.04.2009

Wegen ihrer Kleidung werden die Protestierenden "Rothemden" genannt. Sie sind Anhänger der Partei Thai Rak Thai, die vom ehemaligen Premierminister Thaksin Shinawatra angeführt wird; dieser war 2006 durch einen Militärputsch gestürzt worden. Seitdem hat das Militär zwei Regierungen gestürzt, die von Verbündeten Thaksins geführt wurden; jedes Mal hat es dabei Demonstrationen von sogenannten "Gelbhemden" initiiert. Premierminister Abhisit steht an der Spitze einer rechten, die Monarchie unterstützenden Regierung, doch die wirkliche Macht hält die Armee in den Händen.

Zum vierten Mal in den letzten 40 Jahren haben in Bangkok Soldaten das Feuer auf Demonstranten eröffnet, die für Demokratie eintraten. Jedesmal war das Ziel dasselbe: Der Schutz der Interessen der konservativen Eliten, die Thailand in den letzten 70 Jahren regiert haben.
Wer die kaltblütigen Morde der Soldaten auf den Straßen Bangkoks beobachtet hat, mag versucht sein anzunehmen, beim gegenwärtigen Chaos handele es sich lediglich um verschiedenfarbige T-Shirts und Anhänger verschiedener politischer Parteien, als seien sie nur Spiegelbilder voneinander. Dies ist jedoch nicht so.
Was wir in Thailand seit 2005 erleben, ist ein zunehmender Klassenkrieg zwischen den Armen und den alten Eliten. Es ist natürlich kein reiner Klassenkrieg. Dank eines Vakuums auf der Linken ist es Millionären und populistischen Politikern wie Thaksin Shinawat gelungen, die Führung der ärmeren Bevölkerung zu übernehmen.

Die Roten...

Die städtischen und ländlichen Armen, die die Mehrheit der Wählerschaft bilden, sind die Rothemden. Sie verlangen das Recht, ihre eigene Regierung demokratisch zu wählen. Sie begannen als passive Anhänger der Regierung Thaksin. Aber jetzt haben sie eine völlig neue Bürgerrechtsbewegung gegründet für das, was sie "reale Demokratie" nennen. Für sie bedeutet "reale Demokratie" ein Ende der lange hingenommenen "schweigenden Diktatur" der Generäle und des Palastes.
Diese erlaubte den Generälen, den Beratern des Königs im Kronrat und den konservativen Eliten, so zu handeln, als stünden sie über der Verfassung. Gesetze gegen Majestätsbeleidigung und periodische Repressalien wurden eingesetzt, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Seit 2006 agieren diese Eliten offen gegen Wahlergebnisse: Sie haben einen Militärputsch inszeniert, zweimal die Gerichte benutzt, um Thaksins Partei aufzulösen, und unterstützen auf der Straße den gewalttätigen Mob der Gelbhemden. Die gegenwärtige Regierung der sog. "Volksallianz für Demokratie" wurde von der Armee ins Amt gehoben.
Die meisten, die der Bewegung der Rothemden angehören, unterstützen Thaksin aus guten Gründen. Seine Regierung hat einige Maßnahmen verabschiedet, die den Armen zugute kamen, darunter Thailands erstes allgemeines Gesundheitssystem. Doch die Rothemden sind keine bloßen Marionetten Thaksins. Das Verhältnis zwischen Thaksin und den Rothemden ist widersprüchlich. Seine Führung schafft Mut und Vertrauen in den Kampf. Doch die Rothemden organisieren sich selbst in lokalen Gruppen; manche sind enttäuscht über einige von Thaksins Positionen, z.B. sein Beharren auf einer "loyalen" Haltung zur Krone.
In den letzten Tagen haben die Rothemden Zeichen von Eigenständigkeit gezeigt, es wächst eine republikanische Bewegung heran. Viele linksorientierte Thailänder wie ich sind keine Thaksin-Anhänger. Wir kritisierten seine Menschenrechtsverletzungen. Aber wir gehören zum linken Flügel der Bürgerbewegung für "reale Demokratie".

...und die Gelben

Die Gelbhemden sind konservative Royalisten. Einige vertreten faschistische Positionen. Ihre Wachtrupps tragen und benutzen Schusswaffen. Sie unterstützten den Putsch 2006 und blockierten im vergangenen Jahr die internationalen Flughäfen. Hinter ihnen steht die Armee. Deshalb hat das Militär nie auf die Gelbhemden geschossen. Deshalb hat der jetzige, in Oxford und Eton ausgebildete Premierminister nichts für die Bestrafung der Gelbhemden getan. Er hat sogar einige in sein Kabinett aufgenommen.
Das Ziel der Gelbhemden ist die Minderung der Bedeutung der Wahlen und die Bewahrung der traditionellen korrupten Art, Thailand zu regieren, zugunsten der konservativen Eliten. Sie betrachten eine stärkere Machtbeteiligung der Bürger als Bedrohung und befürworten eine Diktatur der "Neuen Ordnung", in der die Menschen zwar wählen dürfen, aber die Mehrheit der Abgeordneten und der öffentlichen Ämter nicht zur Wahl stehen.
Unterstützt werden sie vom Mainstream der thailändischen Medien, den meisten Akademikern der Mittelschicht und sogar einigen NGO-Sprechern. Einige NGOs haben sich in den letzten Jahren durch ihr Bündnis mit den Gelbhemden diskreditiert oder sie haben zu den Angriffen auf die Demokratie geschwiegen.
Wenn wir über den "Palast" sprechen, müssen wir zwischen dem König und seiner Entourage unterscheiden. Der König war stets schwach und ohne irgendwelche demokratischen Prinzipien. Der Palast wurde früher wie heute dazu benutzt, alle Diktaturen zu legitimieren.
Als "Stabilitätsfaktor" hat die Monarchie stets nur geholfen, die Interessen der Elite zu festigen. Der ungeheuer reiche König ist gegen jede Neuverteilung des Reichtums. Die Königin ist eine extrem reaktionäre Person. Diejenigen aber, die innerhalb der Eliten wirklich über Macht verfügen, sind die Armee und die hochrangigen Staatsbeamten.
Will man die Gewaltakte, die in Thailand stattgefunden haben, begreifen und beurteilen, braucht man einen Sinn für Geschichte und Perspektive. Man muss unterscheiden zwischen der Zerstörung von Eigentum und der Verletzung oder Tötung von Menschen. Dann ist klar, dass die Gelbhemden und die Armee die eigentlich Gewalttätigen sind.
Ein Sinn für Geschichte hilft auch bei der Erklärung, warum die Rothemden jetzt voller Wut auf die Straße gehen. Sie hatten einiges zu erdulden: die militärische Knute, der wiederholte Raub ihrer demokratischen Rechte, fortgesetzte Gewaltakte gegen sie und ständige Kränkungen seitens der Medien und durch akademische Kreise. Wenn sie ihren Widerstand fortsetzen, könnten Risse in der Armee auftauchen. Die letzten vier Jahre haben die thailändische Bevölkerung hochgradig politisiert. Einfache Soldaten, die aus armen Familien kommen, unterstützen die Rothemden.
Der Einsatz ist sehr hoch. Jeder Kompromiss läuft Gefahr, nicht von Dauer zu sein, denn er wird fast niemanden zufrieden stellen. Die alten Eliten werden vielleicht mit Thaksin ein Abkommen schließen, damit die Rothemden nicht völlig republikanisch werden.
Was auch immer geschieht, die thailändische Gesellschaft kann nicht zu den alten Zeiten zurückkehren. Die Rothemden repräsentieren Millionen von Thailändern, die die Einmischung des Palastes und des Militärs in die Politik satt haben. Zumindest werden sie eine konstitutionelle Monarchie verlangen. Es ist zu hoffen, dass sie sich in dieser Runde des Kampfes weiter nach links bewegen.

Giles Ji Ungpakorn
(Der Autor ist ein thailändischer Dissident, dem das "Verbrechen" der Majestätsbeleidigung zur Last gelegt wird, d.h. einer "illoyalen Haltung" gegenüber dem Staatsoberhaupt, König Bhumibol. Um einer langjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen, floh Giles Ji Ungpakorn zu Beginn des Jahres nach Großbritannien.)

Nach http://socialistworker.org. Weitere Informationen und Aktualisierungen finden sich auf der Webseite von Giles Ji Ungpakorn (Übersetzung: Hans-Günter Mull, Quelle: http://www.soz-plus.de