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Neoliberaler Putsch in Pakistan

Farooq Tariq, Generalsekretär der Labour Party of Pakistan (LPP) spricht im Interview über die Verhängung des Ausnahmezustandes, die Repression und den Widerstand: "Widerstand gibt es überall, in den Ständen und auf den Dörfern!"

04.12.2007

Die von der italienischen Regierungspartei Rifondazione Comunista (PRC) herausgegebene Tageszeitung "Liberazione" brachte am 18.11.2007 ein Interview mit dem seit Verhängung des Ausnahmezustandes durch den De-facto-Diktator Pervez Muscharraf am 3. November 2007 im Untergrund lebenden Generalsekretär der linken Labour Party of Pakistan (LPP), Farooq Tariq.

Tariq ist seit seiner Studentenzeit an der Punjab University Mitte der 70er Jahre politisch aktiv. Nach Errichtung der von den USA gestützten reaktionären Militärdiktatur unter Zia ul-Haq am 5.7.1977 ging er ins Exil. Er verbrachte acht Jahre in England und Holland, wo er zusammen mit anderen radikalen Linken die Gruppe "The Struggle" (Der Kampf) aufbaute, die – entsprechend der trotzkistischen Entrismustaktik – in der von Benazir Bhutto geführten sozialdemokratisch-linkspopulistischen Pakistanischen Volkspartei (PPP) aktiv wurde, um dort einen starken linken Flügel herauszubilden, auf dessen Grundlage dann eine revolutionär-sozialistische und marxistische Arbeiterpartei entstehen sollte. 1986 kehrte Farooq Tariq nach Pakistan zurück, wo nach dem bis heute mysteriösen Flugzeugabsturz, dem am 17.8.1988 der Diktator Zia ul-Haq, seine wichtigsten Generäle, der damalige US-Botschafter Arnold Lewis Raphel und der US-Militärattache Herbert Wassom zum Opfer fielen, die Diktatur endete. Während Benazir Bhuttos erstmaliger Zeit als Regierungschefin vom 2.12.1988 bis 1990 (ihre zweite Regierungsperiode dauerte von 1993-96) gelangte ein großer Teil der "Struggle"-Gruppe zu der Einschätzung, dass die PPP von nun an nur noch im Dienste der herrschenden Klasse stehen werde und verließ die Partei. (Ein anderer Teil, der das Langzeit-Entrismus-Konzept von Ted Grant und Alan Woods vertritt, blieb unter Führung von Lal Khan und dem heutigen Abgeordneten Manzoor Ahmed in der PPP.)

Nach Schaffung einer soliden gewerkschaftlichen Basis wurde 1997 die Labour Party of Pakistan gegründet, die sich als marxistische Partei versteht und ihre Mitgliederzahl mit 3.000 angibt. Eine der acht größeren pakistanischen Gewerkschaftsbünde, die NTUF (National Trade Union Federation), sympathisiert mit der LPP und viele weibliche LPP-Mitglieder haben die Arbeiterinnenhilfsorganisation Women Working Help Line (WWHL) ins Leben gerufen, die offiziell 2.000 Mitglieder hat. Die LPP-Aktivisten waren bereits vor Verhängung des Ausnahmezustands einer intensiven staatlichen Repression ausgesetzt. So wurde Farooq Tariq vor seinem Untertauchen bereits ein dutzend Mal von der Polizei verhaftet und jeweils einige Tage oder Wochen später wieder freigelassen.

Eine gekürzte und stark redigierte Fassung des folgenden Interviews erschien in der "jungen Welt" vom 22.11.2007. Hier die Originalübersetzung.

 "Neoliberaler Putsch in Pakistan. Solidarität der Gewerkschaften nötig"


Interview mit dem Arbeitsrechtler und Führer der Labour Party of Pakistan (LPP), Farooq Tariq, der seit dem 3.November im Untergrund lebt. "Widerstand gibt es überall, in den Ständen und auf den Dörfern." ...


Kannst Du uns die Reaktionen der pakistanischen Arbeiter nach der Erklärung des Ausnahmezustands beschreiben und uns etwas über die dramatische Situation sagen, die in den letzten Wochen darauf folgte?

Farooq Tariq: Die erste Reaktion der pakistanischen Familien auf die Verhängung des Ausnahmezustands war sehr, sehr negativ. Der größte Teil der Leute, mit denen ich gesprochen habe, war schockiert als sie General Muscharraf sagen hörten, dass der Präsident des Obersten Gerichtshof, Iftikhar Mohammed Chaudhry, seines Amtes enthoben worden sei. Er ist ein Mann, der bei den Arbeitern bekannt und beliebt ist, weil er ihre Interessen geschützt und einige Fälle gelöst hat. In den Arbeitern schwelte bereits vorher eine erhebliche Wut auf das Regime, weil das Leben hier zu teuer geworden ist. Es gibt unkontrollierte Preissteigerungen und die Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu. Das alles ist eine Auswirkung des Vorgehens, mit dem General Muscharraf sehr schnell die neoliberale Agenda umgesetzt hat. Er hat auch viele Arbeitsgesetze zum Vorteil der reichsten Leute verändert. Die Arbeiter und ihre Familien haben auch negativ reagiert, als am 3.November alle privaten Fernsehkanäle abgeschaltet wurden. Die Leute konnten nicht mehr ihre Lieblingssendungen verfolgen, auch die nicht-politischen, zum Beispiel den hierzulande populärsten Sport – Kricket – weil der Stopp aller Sendungen angeordnet wurde. Viele Menschenrechte wurden im Namen des Ausnahmezustands außer Kraft gesetzt. Hunderte von Arbeitern wurden verhaftet. Die Polizei ist mehrmals in mein Haus eingedrungen, um mich zu verhaften, aber bislang ist es mir gelungen, mich zu verstecken.

Wie organisiert sich die Bewegung für die Wiederherstellung der Verfassung und die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte?

Nach und nach, je mehr die Repression zunimmt, wächst die Bewegung. Es würde jedem in der Gewerkschaft und in der Zivilgesellschaft schwer fallen, General Muscharraf zu unterstützen. Sein Vorgehen wird von der gesamten Gesellschaft verurteilt. Wir sind in Wut geraten als mehr als 70 Leute in Lahore im Büro der pakistanischen Menschenrechtskommission verhaftet wurden, während sie darüber diskutierten, wie man sich gegen den Ausnahmezustand wehren sollte. Sie wurden drei Tage lang festgehalten und dann auf Kaution freigelassen. General Muscharraf hat auch die zeitweilige Unterstützung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) von Benazir Bhutto verloren, die am 13.November unter Hausarrest gestellt wurde. Die Bhutto hatte, trotz unserer radikalen Ablehnung dieses Abkommens, eine Art von Machtteilung ausgehandelt. Dann war sie ziemlich erschüttert als sie hörte, dass der Ausnahmezustand verhängt wurde. Sie hat sich sofort dagegen ausgesprochen und ihre zeitweilige Freundschaft zum Militärregime beendet. Heute befinden sich mehr als 4.000 Aktivisten der PPP in Haft. Eine erstaunliche Widerstandskraft zeigten die Studenten der besten pakistanischen Privatuniversitäten. Die Arbeiter bereiten sich auf den Widerstand vor. Der größte Teil der politischen Parteien wehrt sich gegen die Repression und fordert die Wiederherstellung der Verfassung. Mehr als 50 Richter der höchsten Instanzen haben sich geweigert, ihren Eid auf die neue provisorische Verfassung abzulegen und zum ersten Mal hat die Mehrheit des Justizwesens in der Frage der Verfassung Standfestigkeit gezeigt. Der beste Widerstand kam allerdings von den 80.000 Rechtsanwälten aus allen Teilen des Landes. Mehr als 2.000 von ihnen wurden verhaftet, weil sie gegen die diktatorischen Maßnahmen protestierten. Widerstand gibt es überall, in den Städten und auf den Dörfern. Die Leute haben genug von den Militärs und ihrer Vormachtstellung in den letzten acht Jahren. Die Bauern leiden unter der Privatisierung der Agroindustrie und unter der Abschaffung der landwirtschaftlichen Subventionen. Und dann – ich will das noch einmal wiederholen – haben die Leute dieses Regime, diese willkürlichen Verhaftungen und diese Absetzung des beliebtesten Richters in der Geschichte Pakistans satt.

Mit welchen Mitteln unterstützt die Labour Party in diesem Kontext die Gewerkschaften und ihre Forderung nach Demokratie?

Die Labour Party of Pakistan (LPP) steht im Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie in der ersten Reihe. Ihr Vorsitzender Nisar Shah wurde zusammen mit vielen anderen Aktivisten verhaftet. Azra Shad von der Arbeiterinnenhilfsorganisation ‚Women Workers Help Line’ und Khalid Mahmood von der ‚Labour Education Foundation’ wurden am 4.November zusammen mit anderen verhaftet und auf Kaution wieder freigelassen. Auch in Karachi wurden viele Gewerkschaftsführer verhaftet. Die Partei versucht mit den wichtigsten Gewerkschaftszentralen ein Bündnis gegen die Militärregierung auf die Beine zu stellen und offen gegen diese zu demonstrieren. Der größte Teil der Gewerkschaften, inklusive der Pakistan Workers Confederation – PWC – (die das Militärregime im Herbst 2001 noch offen unterstützt hatte; Anm.d.Ü.) hat gegen das Regime Stellung bezogen. Wir könnten eine landesweite Konferenz organisieren, aber es ist sehr schwierig, sich zu versammeln. Mit Sicherheit ist es heute nicht möglich, eine Versammlung offen abzuhalten. Der Ausnahmezustand ist ein direkter Angriff auf das Herz der Arbeiterrechte. Die Beschäftigten der Pakistan Airlines (PIA) hatten sofort nach den diktatorischen Aktionen vom 3.November einen Streik ausgerufen und zum ersten Mal hatten 300 Streikende den regulären Flugverkehr blockiert. Aber der Ausnahmezustand zwang sie unter Androhung der Inhaftierung dazu, wieder an die Arbeit zu gehen. Jetzt, in dem Klima, das in diesen Tagen hier herrscht, würde es niemand mehr wagen, von Arbeiterrechten zu sprechen.

Was sollte Deiner Meinung nach jetzt geschehen?


Der Kampf wird sehr stark werden. General Muscharraf verliert sowohl im Inland wie im Ausland an Unterstützung. Zum ersten Mal hat sich die amerikanische Regierung gegen ihn ausgesprochen und war mit den Aktionen ihres besten Freundes Muscharraf nicht zufrieden. Die Vereinten Nationen haben sein Vorgehen ebenso wie jede einzelne ausländische Regierung verurteilt. Aber General Muscharraf lässt sich davon noch nicht beeindrucken. Er wird den Weg der Repression weiter gehen und versuchen gefälschte allgemeine Wahlen abzuhalten, um der Welt zu sagen, dass er seinen Weg von der Diktatur zur Demokratie abgeschlossen hat. Es versucht derzeit das Anwachsen des religiösen Fundamentalismus als Rechtfertigung für sein Handeln zu nehmen. Das ist aber alles inhaltsleeres Gerede. Wenn die Regierung in punkto religiöser Extremismus Ernst machen wollte, müsste sie versuchen, Staat und Religion zu trennen. Und genau das will sie nicht. Es gab in fast jedem Land große internationale Solidaritätsaktionen. Wir brauchen die Unterstützung der internationalen Arbeiterbewegung, die sich sofort mit dem pakistanischen Volk solidarisch erklärt hat. Wir fordern dazu auf, vor allen Botschaften Protestkundgebungen abzuhalten und dass die nationalen Gewerkschaften an ihre jeweiligen Regierungen schreiben, damit die Beziehungen zur Militärregierung abgebrochen werden. General Muscharraf muss isoliert werden.

Quelle: LabourNet-Austria