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Die griechische Budgetkrise, die EU und das Stabilitätsprogramm

Die Rezession der Weltwirtschaft hat dazu geführt, dass die Defizite und Schulden stark zunehmen. Die EU-Institutionen tadeln Griechenland, weil es 53 Milliarden Euro von den Finanzmärkten benötigt, obwohl sich das Gesamtvolumen der aufzunehmenden Kredite der Eurozone für das laufende Geschäftsjahr auf 2.200 Milliarden beläuft. Die Steigerung der öffentlichen Verschuldung beruht in erster Linie auf den Rüstungsausgaben, was darüber hinaus zur Folge hat, dass die wichtigsten Gläubiger der Auslandsverschuldung Griechenlands mit etwa 69 % Deutschland und Frankreich sind.

13.03.2010

Beispielsweise benötigen Italien 393 Milliarden, Frankreich 454 Milliarden und Belgien mit einem im Vergleich zu Griechenland geringeren Wirtschaftsvolumen 89 Milliarden Euro. Viel Aufheben wird um die Abweichung, das „spread“, von vier Prozentpunkten zwischen den griechischen und deutschen Zinssätzen gemacht, während verschwiegen wird, dass sie in der jüngeren Vergangenheit, z. B. 1992, 18 Prozentpunkte und 1995 immerhin 9,5 % erreicht hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass nach Ansicht vieler Expert­Innen die griechische Verschuldung nicht über 80 % des BSP liegt. Wenn man die 150 Mrd. Euro der griechischen Schwarzwirtschaft nicht hinzurechnet, beträgt das Bruttosozialprodukt 400 Milliarden Euro gegenüber den 280 Mrd. der Verschuldung. Wird die Schwarzwirtschaft in die zu besteuernden Beträge miteinbezogen, steigen die einzunehmenden Steuern um 60 Milliarden, aber 20-25 % der Konsumausgaben gehen verloren. Aus den Regierungserklärungen geht in keiner Weise die Absicht hervor, die Schwarzwirtschaft einzudämmen. Deren Existenz ist zweifellos dafür verantwortlich, dass das BSP 2009 um nur 2 % gefallen ist.

In erster Linie werden es also die abhängig Beschäftigten und die Rentner­Innen sein, die die Krise zu bezahlen haben. Die Gründe dafür bestehen in zwei wesentlichen Faktoren. Erstens beruht die Steigerung der öffentlichen Verschuldung auf den Rüstungsausgaben, für die das Land jährlich 4,5-5 % des BSP aufwendet, was darüber hinaus zur Folge hat, dass die wichtigsten Gläubiger der öffentlichen Auslandsverschuldung Griechenlands mit etwa 69 % Deutschland und Frankreich sind. Zweitens gehen die fortgesetzten kurz- und langfristigen Vergünstigungen der Kredite für die Unternehmen zulasten des Staatshaushalts.
Sparmaßnahmen und Angriff auf die Rentenversicherung
Das sogenannte „Stabilitäts- und Wachstumsprogramm“ der griechischen Regierung sieht für die Jahre 2010-12 Einsparungen von Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 23,6 Mrd. Euro vor. Innerhalb von vier Monaten hat die Regierung den Unternehmen Sondersteuern in Höhe von 870 Mio. auferlegt und an Steuern aus Immobilienbesitz 180 Mio. Euro erhoben. Des Weiteren hat sie zusätzliche Konsumsteuern auf Zigaretten in Höhe von 650 Mio. Euro, auf alkoholhaltige Getränke von 60 Mio. Euro und auf Brennstoffe von einer Milliarde Euro beschlossen. Darüber hinaus erwartet sie mit den Änderungen in der Steuerklasse 200 Mio. Euro, der Abschaffung der selbstständigen Besteuerung 700 Mio. Euro und der der Steuervergünstigungen 200 Mio. Euro sowie mit den Änderungen der Besteuerung großen Immobilienbesitzes 400 Mio. Euro und mit der Einschränkung der Steuerflucht 1,2 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen.

Außerdem wird im Planungsstab des Wirtschaftsministeriums über eine weitere Erhöhung zusätzlicher Konsumsteuern auf Brennstoffe, Getränke und Tabak sowie über eine künftige Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1-3 % und über ein Paket von Privatisierungsmaßnahmen der ATE-Bank, der Postsparkasse und sogar der Wasserwerke nachgedacht. Auch die Einbeziehung von 98 000 illegal bebauten öffentlichen Immobilien in die öffentlichen Finanzen und eine Eigentumsvergabe gegen die Entrichtung eines bestimmten Geldbetrages werden erwogen. Es steht außer Frage, dass die Maßnahmen langfristig zu einer Verstärkung der Rezession bei gleichzeitigem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen werden. Derzeit liegt die tatsächliche Erwerbslosenquote nach Angaben des Arbeitsministeriums bei 18 % der erwerbsfähigen Bevölkerung. Die Einkommenskürzungen um 10 % für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bedeuten Verluste von 211 bis 2 606 Euro, die dem Staatsbudget 800 Mio. Euro einbringen sollen. Der Steuersatz für Unternehmensgewinne verbleibt bei 25 % und der für nicht-verteilte Gewinne bei 20 %, während die Höhe der Besteuerung von Einkommen über 30 000 Euro bei 35 % liegen soll.

Die vorgesehene Politik bedeutet eine Sanierung der Defizite inmitten der Rezession. Auf diese Weise bestätigt sich der eigentliche Grund der Krise, der darin besteht, dass die Gesamtheit des produzierten Mehrwerts keine genügende Verwertung des insgesamt existierenden Kapitals zulässt. Daher dürfen nach Auffassung der herrschenden Klasse die Rentenausgaben nicht 6,5 % des BSP überschreiten. Folglich wird die Erhöhung des Rentenalters ins Auge gefasst. Sie wird die Frauen mit einer Anhebung von 5 bis 17 Jahren besonders hart treffen. Die vorgesehenen Rentenkürzungen ab 2015 werden ca. 30 % betragen. Wer künftig eine Rente beziehen will, die der heutigen entspricht, wird gezwungen sein, auch nach 35 Arbeitsjahren weiter beschäftigt zu bleiben. Die Renten, die IKA, der größte Versicherungsträger des Landes, heute gewährt, liegen für 70 % der Versicherten nicht über 700 Euro. Nachdem die herrschende Klasse die Versicherungskassen in den Jahren 1950-82 (!) zinslos ausgeplündert hat, wurden in der Folge die entstandenen Schuldverpflichtungen für verjährt erklärt. Das Versprechen der letzten Jahre, ein Prozent des BSP solle jährlich IKA gewährt werden, wurde nicht eingehalten. Die Regierungen schulden IKA heute rund 9 Mrd. Euro und haben die oben erwähnten, noch nicht genauer bestimmten Kürzungen anvisiert. Offenbar ist man der Auffassung, dass sich der Rückgang des Klassenbewusstseins auch in absehbarer Zukunft fortsetzen wird und die geplante Politik daher durchsetzbar ist. Bei dieser Kalkulation wird aber unterschlagen, dass es gewöhnlich die herrschende Politik und die Regierungen selbst sind, die mit ihren Maßnahmen revolutionäre Situationen herbeiführen.

Systembedingte Krise

Es gibt andere Wirtschaftsexpert­Innen, die Maßnahmen zur ökonomischen Stabilisierung befürworten, deren erstes und vorrangiges Ziel die Wiederbelebung des Wachstums wäre. So sieht der französische Ökonom J.-P. Fitoussi den Ursprung der Weltwirtschaftskrise in den gravierenden „Einkommensunterschieden“, die sich „abgesehen von der zunehmenden Armut und Prekarität negativ auf den Konsum“ ausgewirkt hätten1. Diese Auffassung sieht die Wurzel des Übels in der Beschneidung der generellen Nachfrage, die zu einer Verschärfung der Marktkrise führe, und befindet sich so in klarem Gegensatz zu der weltweit und natürlich auch von der heutigen griechischen Regierung praktizierten Lehrmeinung. Die­se führt die Krise vor allem auf ein ungünstiges Investitionsklima, dessen Ursprung im Rückgang der Profite zu suchen sei, zurück. Dieser herrschenden Meinung zufolge würden Lohnerhöhungen in dieser Phase des Zyklus eine weitere Begrenzung der Profite und damit auch einen Rückgang der Investitionen und der Beschäftigung nach sich ziehen.

Sowohl die eine als auch die andere Auffassung begehen den Fehler, das Vorhandensein einer Reihe von generellen Anpassungsmechanismen vorauszusetzen, die tatsächlich nur unter sehr spezifischen Bedingungen funktionieren können. Die Erhöhung der Haushaltseinkommen führt nur dann zu einer Konjunkturbelebung, wenn sie von einer Steigerung der Profitrate und einer Perspektive der allgemeinen Ausweitung des Marktes begleitet wird. Andernfalls ist sie mit keiner Erhöhung der Investitionen verbunden. Andererseits trägt die Steigerung der Profite und der Investitionen nur dann zur Überwindung der Krise bei, wenn sie mit einer Ausweitung der Gesamtnachfrage kombiniert ist. Notwendig ist also das Zusammentreffen einer starken Zunahme der Massenkaufkraft mit einer kräftigen Steigerung der Profitrate, damit ein neuer Wachstumszyklus der Produktion und der Kapitalakkumulation einsetzen kann. Die Kombination dieser beiden Faktoren hängt aber von einer günstigen Konstellation vieler verschiedener Umstände ab, die heute nicht vorliegt. In keinem Fall ist sie von der einen oder anderen Regierungsmaßnahme zu bewerkstelligen.

EU – Konvergenz oder Divergenz?

Dies gilt speziell für eine Wirtschaftsunion offener und befreiter Märkte, in die ökonomisch ungleich entwickelte Regionen und Länder integriert sind und in der sich vor allem die reichen Länder mit einem hohen Produktivitäts- und Technologieniveau in einer privilegierten Position befinden. Deutschland wies im Jahr 2000 eine Leistungsbilanz von minus ein Prozent des BSP auf, hat heute aber ein Plus von 5 % erreicht, während im gleichen Zeitraum in Südeuropa (Portugal, Spanien, Italien, Griechenland) riesige Defizite entstanden sind. In Griechenland haben sich die Defizite in absoluten Zahlen verdreifacht, in Spanien sind sie um das Sechsfache gestiegen (World Bank Development Indicators 2002 & 2008, Table 4.15). Es mag sein, dass die Arbeitskosten im europäischen Süden schneller gestiegen sind, aber sein Lohnniveau lag 2006 im Vergleich zum Norden unter 50 %. Es ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich die Kompatibilität der ökonomischen Strukturen nicht zu verstärken scheint und der gemeinsame Markt sowie der Euro nicht die gleichen Elemente der einzelnen Länder, sondern ganz im Gegenteil deren jeweilige besonderen Vor- und Nachteile stärker hervortreten lassen. Der Euro ist sicher nicht durch die Defizite Griechenlands, das ohnehin nur 2,7 % der Eurozone darstellt, gefährdet. Die Gefahr eines Domino-Effekts mag nicht auszuschließen sein, aber den unterschiedlichen Problemen der verschiedenen Länder muss mit unterschiedlichen Konzepten begegnet werden. Gerade in den Ländern des europäischen Südens muss in erster Linie die Arbeitslosigkeit bekämpft werden, während die Haushaltsdefizite als sekundär zu betrachten sind.

Unter diesem Aspekt ist das von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs sowie der Brüsseler EU-Bürokratie geforderte und von der PASOK-Regierung – selbstverständlich unter Bruch sämtlicher Wahlversprechen – eifrig auf den Weg gebrachte „Spar- und Stabilitätsprogramm“ nur als absolut kontraproduktiv zu bezeichnen. Die griechische Haushaltskrise ist letztlich nur ein kleiner Bestandteil der 2008 offen ausgebrochen kapitalistischen Weltwirtschaftskrise. Wie sich gezeigt hat, führt die Anwendung der neoliberalen Konzepte in eine ausweglose Misere, deren Ausmaß weiter zunehmen wird, auch wenn kleinere Konjunkturschwankungen zum Programm gehören. Und nicht die von den Parteien der Europäischen Linken wie Syriza in Griechenland propagierte neo-keynesianische Wirtschaftspolitik, sondern die Selbst­organisierung der arbeitenden Menschen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten, die praktische und programmatische Infrage-Stellung des Profitprinzips und der Umweltzerstörung sowie die sozialistische Transformation der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung werden den einzig realistischen Weg aus der Krise weisen.

Takis Thanassoulas 

(Übersetzung: A. Kloke, zuerst erschienen in: avanti, Zeitschrift des RSB)