die Linke

Menüpfad zur ausgedruckten Seite: Home Artikel Hintergrund Ökonomie: Die schlimmste Krise des Kapitalismus seit den Dreißigerjahren
Adresse: https://dielinke.at/artikel/hintergrund/okonomie-die-schlimmste-krise-des-kapitalismus-seit-den-dreisigerjahren/

Ökonomie: Die schlimmste Krise des Kapitalismus seit den Dreißigerjahren

Die Vereinigten Staaten und die Welt befinden sich heute in der Anfangsphase der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der großen Depression der 1930er Jahre. Die Krise stellt das größte Scheitern des freien Marktes seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Seit geraumer Zeit haben die meisten Ökonomen behauptet, der Markt würde sich selbst regulieren und die Fehler selbst korrigieren; dieses Traumgespinst hat sich jetzt in Luft aufgelöst.

18.02.2009

Die Krise hat zu einem Sturm auf das internationale Bankensystem und zu einem Zusammenbruch der Aktienkurse geführt und das Tor zur längsten und tiefsten Rezession in der Nachkriegszeit geöffnet. Dies ist keine typische zyklische Krise, die der Kapitalismus etwa alle zehn Jahre durchläuft, sondern eine Systemkrise, eine Krise des Finanzsystems, welches Geld für die Zirkulation der Waren, für den Handel und die Investitionen bereitstellt. Man hat uns gesagt, es gebe keine Alternative zum freien Markt. Nun sagt man uns, es gebe keine Alternative zum Eingreifen des Staates und zur Regulierung.

Vor langer Zeit hat Karl Marx herausgearbeitet, dass kapitalistische Krisen nicht durch einen Mangel an Gütern oder durch ausfallende Ernten entstehen, sondern aufgrund von Überproduktion. Diese Überproduktion stellt keine Überproduktion von Gütern dar, die die Menschen brauchen, sondern eine Überproduktion von Waren, die auf dem Markt profitabel verkauft werden können. Wenn Produkte nicht mit Profit verkauft werden, gleichgültig, ob es sich um physische Waren oder Absicherungen von Schulden handelt, dann können die Profite nicht realisiert werden und das System fällt in eine Krise, da die Kreditvergabe und die Investitionen zum Erliegen kommen. Dann werden in einer sich nach unten drehenden Spirale ArbeiterInnen entlassen, Fabriken geschlossen, und Banken machen Bankrott. Der einzige Weg des Kapitalismus, aus der Krise zu kommen, besteht darin, die Arbeitskosten zu senken (Lohndrückerei) und durch Firmenpleiten Kapital massiv abzuwerten, so dass die Kapitalisten, die übrig bleiben, die pleite gegangenen Unternehmen billig schlucken können.

Es hat bereits eine enorme Zerstörung von Kapital gegeben. In den letzten Monaten sind mehr als 7 Billionen Dollar aus dem US-Aktienmarkt verschwunden. Allein am 15. Oktober 2008 wurden 1,1 Billionen (= tausendeinhundert Milliarden) Dollar vernichtet. Bis Mitte Oktober betrug der Verlust an den Weltbörsen 27 Billionen US-Dollar. Der Wert der Immobilien in den USA ist um 5 Billionen gefallen, der der Pensionsfonds um 2,5 Billionen; die Abschreibungen der Banken betragen nun zwischen 600 und 700 Milliarden Dollar, und man erwartet, dass es am Ende 1,4 Billionen US-Dollar sein werden. Sogar große und konservativ agierende Gesellschaften sind nun verschwunden. Die Bank Lehman Brothers, die eine Kapitalisierung von 30 bis 40 Milliarden Dollar aufwies, ging in Konkurs; die Versicherung AIG, die bis vor kurzem eine Kapitalisierung von 150 bis 200 Mrd. Dollar aufwies, brauchte zu ihrer Rettung 123 Mrd. US-Dollar frisches Geld von der Regierung. Dies hat zu einer massiven Einschränkung der Kreditvergabe geführt. Die Banken und die anderen Finanzinstitutionen vertrauen sich nicht länger, um nicht zu taumeln und unter dem Gewicht der faulen Kredite zusammenzubrechen. Sie weigern sich, sich Kredite zu geben, was zu einer Schmelze des Finanzsystems führt, die sich auf das gesamte weltweite Kreditsystem auswirkt.

All dies ist nur der Beginn einer langen und tiefen Rezession. In den USA befinden sich die Profite, der Motor des kapitalistischen Systems, im freien Fall. Sie erreichten ihren Höhepunkt im dritten Quartal des Jahres 2006 und sind im Vergleich dazu bereits um 29 % gefallen – die Abschreibungen der Banken nicht hinzugerechnet. Die Pleiten am Immobilienmarkt, die die laufende Finanzkrise in Gang setzten, laufen weiter. Im Schnitt sind die Preise für Immobilien um 23 Prozent gefallen – in Staaten wie Kalifornien, Nevada oder Florida aber noch deutlich mehr. Ein Sechstel aller Immobilien befindet sich nun „unter Wasser“, das heißt, dass die eingetragenen Hypothekenkredite höher sind als der Wert der Häuser. Es gibt nun Millionen nicht verkäuflicher Wohnungen und es wird erwartet, dass vier Millionen Häuser zwangsgeräumt werden, und dies, bevor noch die Rezession und die Entlassungen richtig hart zugeschlagen haben. Die Arbeitslosigkeit liegt bereits bei 6,1 % und Ökonomen sagen voraus, dass sie im kommenden Jahr auf 8–9 % ansteigen wird. In der letzten Rezession 2001 stieg die Arbeitslosigkeit nur bis 6,3 % an. Im vergangenen Jahr nahm sie von 7,3 Mio. auf 9,5 Mio. Menschen zu. Das US-Arbeitsministerium hat berichtet, dass die wirkliche Arbeitslosenquote bei 11 Prozent liegt, wenn man die fünf Millionen „entmutigter“ Menschen hinzurechnet, die es aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen, sowie den Teil der 6,1 Millionen TeilzeitarbeiterInnen, die eigentlich einen Vollzeitjob haben möchten. Außerdem sind die Reallöhne bereits vor der Rezession zurückgegangen. Im vergangenen Jahr stiegen die Wochenlöhne um 2,8 %, aber wenn man die reale Inflation abzieht, fielen sie um 2,5 %.

Auch die Verknappung der Kreditvergabe hat erst begonnen. Sogar wenn die letzten Handlungen der amerikanischen und europäischen Regierungen, die sich fünf vor zwölf entschlossen haben, das Bankensystem zum Teil zu verstaatlichen und frisches Geld in Milliardenhöhe hineinzupumpen, erfolgreich sein sollten, werden die Verknappung und Rationierung der Kreditvergabe weitergehen.

Die Regierung hat den Banken frisches Geld zur Verfügung gestellt, damit sie überhaupt weitermachen können. In den USA hat der Plan, 250 Mrd. Dollar in die neun größten Banken des Landes zu investieren, den vorherigen Plan überlagert, 700 Mrd. Dollar Steuergelder herzunehmen, um damit die faulen Kredite aufzukaufen. Jedoch halten die Banken immer noch riesige Mengen an Hypotheken- und anderen Krediten, deren Sicherheiten weit aufgebläht sind. Selbst mit den Rettungsmaßnahmen werden sie Sicherheiten verkaufen müssen, um wieder an frisches Kapital zu kommen. Auch müssen die Banken ihren Fremdkapitalanteil zugunsten des Eigenkapitalanteils reduzieren, also einen Teil ihrer Schulden begleichen und ihre riskanten Kredite kürzen, die sie in den vergangenen Jahren ausgegeben haben. Statt etwa das Zehnfache ihres Eigenkapitals zu verleihen, haben sie das dreißig- bis vierzigfache ihres Eigenkapitals an Krediten vergeben; und in Europa gibt es Banken, bei denen das Verhältnis noch viel krasser ist.

Es wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen, das Bankensystem umzubauen und mit frischem Kapital zu versorgen. In dieser Zeit wird es weniger Geld für Kredite für geschäftliche Investitionen und Käufe der KonsumentInnen geben, was die Rezession verstärken und zu noch mehr Pleiten von Unternehmen führen wird. Das wiederum wird zu mehr Entlassungen und höherer Arbeitslosigkeit und einer schnelleren Spirale nach unten führen.

Der Umbau des Bankensystems ist nicht das Einzige, was in der Krise passieren wird. Industrien aller Art – nicht nur Unternehmen, sondern ganze Industrien – werden an den Rand des Bankrotts gelangen, etwa die Automobil- oder die Bauindustrie oder die Luftfahrtgesellschaften. Alle diese Industrien müssen dann mittels Zusammenschlüssen und Aufkäufen, durch Teilverkäufe, sowie durch den Verkauf von Unternehmen und von Anlagen zu Billigpreisen umgebaut werden. Der einzige Weg für den Kapitalismus, aus der Abwärtsspirale herauszufinden, ist – wie bei allen kapitalistischen Krisen – die massive Entwertung von Kapital und die Reduzierung von Arbeitskosten bis zu einem Punkt, an dem wieder Profite gemacht und Investitionen getätigt werden.
Die Krise ist international

In der Zwischenzeit wird der internationale Charakter der Krise für ihre Vertiefung sorgen. Es befinden sich bereits alle fortgeschrittenen Länder – Deutschland, Italien, Großbritannien, Frankreich, Japan – in einer tieferen Rezession als die USA selbst. Die Lage der Banken in Europa könnte noch schlechter sein als in den USA, weil in einigen Ländern die Immobilienblase noch größer war, und weil es, wie wir bereits erwähnt haben, im europäischen Bankensystem einen noch größeren „Hebel“ (Verhältnis Fremdkapital zu Eigenkapital) gab als in den USA. Der Zusammenbruch des Booms der Warenverkäufe – der Preise für Öl, Kupfer, Getreide und andere Waren, die seit Sommer 2008 einen dramatischen Preisverfall erleben mussten –, hat eine Reihe von „Schwellenländern“ ins Chaos gestürzt. In Russland ist der Börsenmarkt zusammengebrochen und lag Mitte Oktober 2008 um 60 % tiefer als bei seinem Höchststand. In einer Reihe von Ländern sind die Währungen zusammengebrochen. Der Wert der brasilianischen Währung verfiel in den letzten beiden Monaten um 40 %, die Währung von Südkorea um 50 %. Bei zahlreichen Staaten (Island ist nur der erste) ergibt sich die Möglichkeit eines Staatsbankrotts. Der Baltic Dry Index (BDI) – durch den die Kostenentwicklung des Warentransports angegeben wird – fiel von seinem Höchststand vor ein paar Monaten um 80 %. Dies kann als Indikator für den Kollaps des Welthandels gelten.
Es ist das erste Mal seit 1973, dass die ganze Welt gleichzeitig in eine Rezession gefallen ist. Das wird die Rezession tiefer ausfallen lassen, weil es für einzelne Länder unmöglich ist, ihre Krisenlasten in Länder zu exportieren, die sich noch in einem Aufschwung befinden.

Die Ursprünge der Krise


Die gegenwärtige Krise ist das Produkt der Widersprüche des 25 Jahre anhaltenden neoliberalen Booms, der 1982 begann. Der Nachkriegsboom endete 1973, und zwischen 1973 und 1982 gab es in den Vereinigten Staaten drei Rezessionen. Der in den USA – und deutlich weniger im Ausland – vorgenommene Umbau durch Einführung von neoliberalen Maßnahmen der Beförderung des „freien Marktes“ führte zu einem 25 Jahre währenden Boom. Es sind die Widersprüche dieser neoliberalen Maßnahmen, die zu dieser Krise geführt haben.

Der erste Widerspruch lag im Aufbau einer gigantischen Schuldenblase. Die Zunahme der Verschuldung in den Jahren von Bush Vater und Sohn sowie Clinton war augenfällig. In den letzten zwanzig Jahren vor 2007 vervierfachte sich die Verschuldung an den Kreditmärkten in etwa von 11 Billionen auf 48 Billionen US-Dollar, weit mehr als die Wachstumsraten. In vergleichender Perspektive: Laut Wall Street Journal nahm die weltweite Verschuldung seit 1983 jährlich um 8,9 % zu, während das BIP nur um 5,9 % wuchs. Die Verschuldung der USA wuchs in enorme, nicht nachhaltige Dimensionen bis zur asiatischen Finanzkrise von 1997–1998. Es gibt zahlreiche Elemente, die am Aufblähen dieser Schuldenblase mitgewirkt haben. Das erste ist der Einsatz der Geldpolitik zur Lösung wirtschaftlicher Probleme. Als sich die Asienkrise ereignete, pumpten die USA riesige Mengen an Liquidität ins Bankensystem und kürzten dann die Zinssätze dramatisch, obwohl sich das Land noch in einem Boom befand. Das führte dann zum Aufbau der Dot-com-Blase – der wilden Inflation der Technologie-Aktien – die im März 2000 platzte.

Der zweite Widerspruch lag darin, dass die USA zum „buyer of last resort“ (dem Land, das alles aufkauft, d. Ü.) wurden, wodurch ein Handelssystem mit Asien entstand, in dem die asiatischen Länder massiv in die USA exportierten, die die Importe mit Schuldtiteln bezahlten. Das US-amerikanische Zahlungsbilanzdefizit wuchs von 200 Mrd. US-Dollar auf 700 bis 800 Mrd. jährlich. Und dies alles auf Kredit. Unter Clinton kam der US-Haushalt noch ins Plus. Aber unter Bush junior verschwand das Plus wegen seiner Steuersenkungen und Ausgaben für die Kriege, und der Haushalt fiel von einem Plus von etwa 250 Mrd. Dollar im Jahr 2000/2001 auf ein Defizit von 300 Mrd. US-Dollar schon im Jahr 2002. Dies stimulierte die Wirtschaft, doch es bedeutete auch, dass die USA von ausländischen Geldzuflüssen abhängig wurden, denn die Sparquote brach zusammen und war in den Jahren des Booms sogar negativ. Ausländisches Kapital, besonders aus China, Japan und den Öl exportierenden Ländern in Nahost, finanzierte die Schulden der USA. Als die Dot-com-Blase platzte und es 2001 zur Rezession kam, senkte der Chef der Zentralbank Federal Reserve (FED) für drei Jahre die Zinsen auf zwischen ein und zwei Prozent. Das führte dann zu einer massiven Inflation, also einem Preisanstieg besonders bei Immobilien.

Ein wichtiger Faktor, der zur Explosion der Verschuldung beitrug, war der phänomenale Anstieg der Ungleichheit in der Einkommensverteilung. Der neoliberale Boom war das Ergebnis einer Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, wodurch die Ausbeutungsrate gesteigert und die Reallöhne gesenkt werden konnten; fast der gesamte neu geschaffene Wert kam dem Kapital zugute. Einige Zahlen zeigen auf, wie dramatisch diese Verschiebung ausfiel. Im Jahr 1973 lag das BIP pro Kopf in konstanten US-Dollar gerechnet bei 20.000 US-Dollar pro Jahr. Im Jahr 2006 lag es bei 38.000 US-Dollar, also eine Zunahme um mehr als 90 %. Doch die Reallöhne fielen in diesem Zeitraum von gut dreißig Jahren. Sie lagen 1973 bei etwa 330 US-Dollar pro Woche – aber 2007 nur noch bei 279 US-Dollar, eine Abnahme von 15 Prozent.

Die Umverteilung von Reichtum von der Arbeiterklasse hin zu den Kapitalisten produzierte eine riesige Menge von Kapital für mögliche Investitionen. Doch im letzten Geschäftszyklus konnte das Kapital zu Hause diese profitablen Anlagemöglichkeiten gar nicht finden. Es gab keine erweiterte Reproduktion und keine reale Akkumulation von Kapital in den USA im Verlauf der Jahre seit 2000. Im letzten Geschäftszyklus gab es ein Jahr vor Beginn der Rezession weniger Fabriken als 1999. Statt in neue Technologien, neue Fabriken und Ausrüstungen zu investieren, investierten die Kapitalisten ihr Geld lieber im Ausland. Im Inland gingen die Investitionen in die profitabelsten Bereiche – Immobilien, Bauwirtschaft und Hochfinanz. „Im Jahr 1983 trugen die Banken und Broker und andere Finanzdienstleistungen mit 15,8 % zu den Profiten der einheimischen Firmen bei“, schrieb James Grant in der Ausgabe vom 18. Oktober 2008 des Wall Street Journal, „heute ist diese Rate doppelt so hoch“.

Diese Investitionen stimulierten die Blase bei den Immobilienpreisen und Schulden. Zwischen 2000 und 2005 stiegen die Immo-Preise um über 50 % und die Bautätigkeit verstärkte sich wie verrückt. Banken und andere Finanzinstitutionen überboten sich bei der Kreditvergabe und schufen einen großen Markt von „subprime“-Krediten (schlechte Risiken) – Kredite zu variablen Zinsen, die an Kunden mit geringer Bonität verkauft wurden. Außerdem nahm die Spekulation mit Immobilien massiv zu, denn kleine Investoren kauften sich ein zweites oder drittes Anwesen in der Hoffnung, die Immobilienpreise würden weiter steigen und sie könnten ihre Häuser profitabel weiterverkaufen. Die Bank Merrill Lynch schätzte, dass in der ersten Hälfte von 2005 die Hälfte des Wirtschaftswachstums auf den Boom im Immobilienbereich entfiel.

Die ganze Zeit über versuchten die ArbeiterInnen, trotz des Rückgangs der Reallöhne ihren Lebensstandard zu halten. In den 1980er und 1990er Jahren arbeiteten sie länger oder nahmen mehrere Jobs an, oder es mussten mehr Familienmitglieder arbeiten. Damit konnten sie die Einkünfte der Haushalte bis zu einem gewissen Grad steigern. Doch sogar die Einkommen der Haushalte fielen von 1998 bis in die Boomjahre des neuen Jahrhunderts. Der einzige Weg, den Lebensstandard bei fallenden Löhnen zu halten, war, angesichts steigender Preise für ihre Häuser die Hypotheken hochzufahren, indem man immer wieder umfinanzierte. In der Periode des letzten Booms nahmen HausbesitzerInnen 5 Billionen Dollar neu auf ihre Häuser auf (9 Billionen seit 1997!) und schmierten dadurch eine zunehmend unbezahlbare Schuldenstruktur, die schließlich mit dem Niedergang der aufgeblähten Immobilienpreise platzte.

Der dritte Faktor, der zu dieser Schuldenblase führte, lag in der Deregulierung des Bankensystems, was zum Aufbau eines Schattenbankensystems führte. Dieses Schattensystem wuchs so sehr, dass es schließlich größer war als die regulierten und versicherten Handelsbanken, die aufgrund dieses Systems in der Lage waren, nach Art von Enron alle möglichen Kredite und Investments aus ihren Büchern herauszuhalten.

In dieser Schattenwelt mussten die Banken nicht über adäquate Einlagen aus Eigenkapital verfügen. Daher waren sie mittels des unregulierten Systems in der Lage, dreißig, vierzig, fünfzig mal mehr an Krediten zu vergeben als ihr Eigenkapital betrug, um damit auf den Aktienmärkten oder in verschiedene neue exotische Schuldenprodukte wie die „Collateralized Debt Obligations (CDO)“, in „Credit-Default-Swaps (CDS)“ (eigentlich Versicherungen gegen Kreditausfälle) und viele andere Formen von Finanzschwindel zu investieren; viele von ihnen basierten auf der „Verbriefung“ und „Neuverbriefung“ von Hypothekenkrediten. Sie wurden gebündelt und in „Wertpapiere“ umgewandelt, die einen erheblichen Anteil von faulen Krediten enthielten – etwa die 900 Mrd. Dollar, die als „subprime“-Kredite vergeben worden waren.

Das unregulierte Banksystem sorgte für das gute Ansehen dieser „asset inflation“ und engagierte sich in der Schöpfung dieser neuen Kreditinstrumente sowie den Derivaten auf der Grundlage von Hypotheken, den CDOs und den CDS, was wiederum zu einer manischen Spekulation führte, die die Preise höher und höher trieb. Gleichzeitig waren diese unregulierten Instrumente so kompliziert, dass niemand wissen konnte, was sie wirklich wert waren. Dieses System verschaffte den Banken zunächst enorme Profite. Die Gier trieb die Preise für Anlagen in die Höhe und schuf ein Umfeld, in dem jeder an der Jagd teilnehmen wollte, wodurch die Bedingungen für den unvermeidlichen Crash geschaffen wurden. Das Kartenhaus begann, zusammenzukrachen, als der Immobilienmarkt einbrach.

Das Ende des durch Schulden finanzierten Handelssystems


Das Handelssystem, das aus der Asienkrise von 1998 geboren wurde, war keineswegs nachhaltig. Man kann sich sogar wundern, dass es so lang vorhielt. Die gegenwärtige Krise bewirkt, dass es unmöglich weitergeführt werden kann. Die USA entwickelten ein riesiges Handelsdefizit, das durch im Ausland aufgenommene Kredite in Dollar, der internationalen Reservewährung, finanziert wurde. Wäre der Dollar nicht die internationale Reservewährung, dann könnte man sich nicht vorstellen, dass dieses Handelsbilanzdefizit für so lange Zeit hätte funktionieren können. Da die Welt nun in die Rezession eingetreten ist, sind die USA dazu übergegangen, das Haushaltsdefizit noch weiter aufzublähen. Dieses Defizit wird weiterhin durch die Ausgaben für das US-Militär ausgeweitet, welche von 300 Mrd. US-Dollar im Jahr 2000 auf über 800 Mrd. US-Dollar heute angestiegen sind, wenn man die zusätzlichen Kosten für die Kriege in Afghanistan und im Irak hinzurechnet. Außerdem haben die USA gerade einen sündhaft teuren Rettungsschirm ausgebreitet. Das bedeutet, dass das Haushalts-Defizit im kommenden Jahr auf mindestens 750 Mrd. US-Dollar, wahrscheinlich mehr, ansteigen wird.

Woher soll das Geld dafür kommen? Im Augenblick gibt es in unserem Land keine Ersparnisse, aber das könnte sich dramatisch ändern. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass China, Japan und die anderen Länder bereit sind, das US-amerikanische Handelsbilanzdefizit von 700 bis 800 Mrd. US-Dollar jährlich weiter zu finanzieren, denn die öffentliche Schuldenbilanz der USA ist von 5 Billionen US-Dollar zu Beginn von Bushs Amtszeit auf 11 Billionen heute angewachsen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Chinesen oder andere dieses Defizit weiterhin finanzieren werden – obgleich die Schuldverschreibungen des US-Schatzamtes immer noch ein sicherer Hafen sind. Dies gilt insbesondere, weil die chinesischen Handelsbilanzüberschüsse infolge der weltweiten Rezession beträchtlich zurückgehen werden.

Die chinesische Bevölkerung konsumiert nur 35 % dessen, was sie produziert. Der Rest geht in die Investitionen und in den Export. Die chinesische Wirtschaft hat den höchsten Ausbeutungsgrad unter allen Industrieländern. Doch die Märkte, in die sie exportieren, sind dabei, zu schrumpfen – diese Entwicklung läuft bereits. Aus diesem Grund ist die Absicht der Chinesen, den USA noch größere Summen zu leihen, problematisch, besonders unter den Bedingungen niedriger Zinssätze in den USA. Daher können die USA mit ihrem Handelsbilanzdefizit nicht so weitermachen wie bisher und dazu noch ein riesiges Haushaltsdefizit aufbauen, und beides mittels Anleihen im Ausland finanzieren. Sie müssen das System umbauen und auf neue Füße stellen. Gleichzeitig werden die USA noch abhängiger von ausländischen Direktinvestitionen aus Ländern wie Japan und China, die – wie bereits erwähnt – hohe Überschüsse erwirtschaftet haben. Dies meinen wir damit, wenn wir sagen, es handle sich nicht einfach um eine typische zyklische Krise des Kapitalismus. Alle Widersprüche des neoliberalen Booms sind zugleich aufgebrochen und müssen nun bewältigt werden.
Die Intervention der Regierung

Auf der Rechten hat es einiges Gerede gegeben, das Eingreifen der Regierung wäre „sozialistisch“. Nachdem Finanzminister Henry Paulson als Antwort auf den britischen Rettungsschirm zugestimmt hatte, die Aktivität der Regierung vom Aufkauf fauler Kredite auf das Einschießen von Kapital in die Banken zu verlagern, sagte selbst er, dass „die Beteiligung der Regierung an irgendeiner US-Privatgesellschaft den meisten Amerikanern missfällt – mich eingeschlossen“. Da er in der engen Welt der Banker und Spekulanten lebt, hat er anscheinend übersehen, dass die Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der AmerikanerInnen eine staatliche Krankenversicherung und bessere Sozialleistungen möchten. Den HofpredigerInnen des freien Marktes, die fürchten, der Schutzschirm sei der Anfang von einem schleichenden Sozialismus, sei das Editorial der Financial Times ins Gedächtnis geschrieben:

„Führt diese Rettung zum Ende des privaten Finanzkapitalismus? Natürlich nicht! Obgleich der Umfang der Krise nach einer außergewöhnlichen Antwort verlangt, ist sie nur die letzte in einer langen Reihe von Bankenkrisen und staatlichen Rettungen. Banken, die dem Staat gehören, scheinen für ein Jahrzehnt in vielen Ländern Realität zu werden. In der nächsten Finanzkrise – und wir dürfen sicher sein, dass es weitere geben wird – können Bankenrettungen durch Schuldenaufkauf ein erster Schritt und kein Schlussstrich sein. Doch die Anteile an den Banken werden schließlich wieder an Privatinvestoren verkauft werden. Die Regierungen möchten (zu Recht) regulieren, um weitere Krisen zu vermeiden. Wenn sie scheitern, müssen sie die Scherben aufkehren. Es gibt keine Alternative.
Der moderne Kapitalismus braucht gut funktionierende Banken. Die Geschäftswelt und die Individuen brauchen Liquidität und effiziente Mittel, um ihre Ersparnisse in produktive Investitionen verwandeln zu können. Doch Banken nehmen diese Funktion war, indem sie Wetten auf die Zukunft abschließen. Aus diesem Grund bestehen sie – und das macht sie inhärent instabil. Sie haben die Tendenz, sich in guten Zeiten zu übernehmen und sind in schlechten übervorsichtig, was die Booms aufbläht und die Krisen verschärft.
Diese Führungsleute möchten den Kapitalismus nicht zugunsten einer netten Herrschaft des Staates ans Messer liefern. Sie gebrauchen den Staat, um den historisch gefährlichsten Feind des Marktplatzes zu bekämpfen, nämlich die sich ausbreitende Rezession. Und sie haben recht, so zu handeln.“


Das Editorial geht sogar so weit, zuzugeben, dass der Zyklus aus Boom und Krise im Kapitalismus unvermeidlich ist und dass der Kredit, der den Boom füttert und ausweitet, auch die Krise vertieft. Das alte neoliberale Mantra TINA (there is no alternative) – es gibt keine Alternative zum Kapitalismus des freien Marktes – wird nun gewendet in: Es gibt keine Alternative zur Intervention des Staates, um den Kapitalismus vor der unvermeidlichen Tendenz zur Krise zu bewahren.

Wir möchten in aller Klarheit sagen: Die Intervention des Staates zur Rettung des Kapitalismus von seinen eigenen Widersprüchen hat nichts mit Sozialismus zu tun! Die US-amerikanische Regierung ist eine kapitalistische Regierung, ausgestattet mit demokratischen und republikanischen Regierungsmitgliedern aus der Kapitalistenklasse. Paulson zum Beispiel war früher ein Topmanager der Bank Goldman Sachs. Die Regierung denkt auf gleiche Weise wie die Kapitalisten, sie verteidigt ihre Interessen und sie zeigt auch die gleichen Verblendungen. Es war die Regierung, die das Bankensystem dereguliert hat, insbesondere unter der Führung von Alan Greenspan (dem Vorsitzenden der Federal Reserve von 1987–2006), Robert Rubin (Schatzmeister unter Clinton) und Lawrence Summers (Schatzmeister der letzten anderthalb Jahre der Clinton-Administration). Zusammen deregulierten sie die Banken und verteidigten die Entwicklung eines unregulierten Systems des Handels mit Schulden. Es waren die Regierung und ihre Politik, die die Radnaben für diese Katastrophe schmierten. Sie wachten über die Umverteilung des Reichtums von der Arbeit hin zum Kapital, sie geben den Reichen riesige Steuergeschenke und sie ermutigten die leichte Kreditvergabe und Schuldenmacherei. Aus diesem Grund trägt die Regierung eine gleich große Schuld an der Krise wie die Banker.

Darüber hinaus war die Antwort der Regierung auf die Kernschmelze des Finanzsystems bis Mitte Oktober völlig unzureichend. Diese Krise baute sich seit zwei Jahren auf, und monatelang weigerte sich die Regierung, überhaupt die Tiefe des Problems zur Kenntnis zu nehmen. Und als sie dann handelte, war es zu wenig, zu spät. Es gab fünf kurzfristige Rettungsversuche, darunter die Absenkung der Zinssätze und billige Kreditlinien für die Banken, sowie die Übernahme der größten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac. Paulson erlaubte es Lehman Brothers, in Konkurs zu gehen, ein Zug, der zu einer tieferen Finanzpanik führte. Darauf folgte der Schutzschirm für die AIG-Versicherung, was zu Paulsons 700-Mrd.-Dollar-Schutzschirm zum Aufkauf der faulen Kredite von Banken führte. Darauf folgte der sechste Versuch, das Finanzsystem zu stabilisieren – die Mitte Oktober getroffene Entscheidung, die Banken zu rekapitalisieren und sie teilweise zu verstaatlichen – ein Plan, der vom britischen Premierminister Gordon Brown initiiert worden war. Dieser Versuch könnte nun dazu führen, dass die Banken wieder Kredite vergeben.

In ihren Ad-hoc-Bemühungen, die Krise zu lösen, glaubten die Offiziellen, es handle sich um ein Liquiditäts- und nicht um ein Insolvenzproblem – man müsse also nur Geld ins System pumpen, dann würden die Banken wieder Kredite vergeben. Doch die Banken weigerten sich, an andere Banken Geld auszuleihen. Denn sie wussten, dass die anderen Banken Forderungen in ihren Büchern hatten, die genauso faul waren wie ihre eigenen – was zu entsprechenden Wertberichtigungen führen musste. Solches nennt man „counterparty risk“: Die Banken fürchten, die andere Bank befinde sich am Rande des Bankrotts und sie geben ihr dann kein Geld mehr. Diese Aversion, Risiken einzugehen, nahm massiv zu, als man Mitte September Lehman Brothers pleite gehen ließ. Das führte dann zur Kernschmelze des Kreditsystems Ende September bis Mitte Oktober, die über die Märkte der ganzen Welt hinwegrollte.

Das andere Problem mit den Washingtoner Entscheidungsträgern war, dass sie sich weigerten, die Immobilienkrise wirksam einzudämmen. Als die Bank Bear Sterns im März in Konkurs ging, veröffentlichte die New York Times einen Leitartikel und der linksliberale Ökonom Paul Krugman schrieb eine Kolumne, in der er argumentierte, es sei richtig, dass die Regierung das Bankensystem verteidige, doch sie könne den Immobilienmarkt nicht retten, weil dort die Preise zu aufgebläht seien. Dies war die Politik der Regierung zu jeder Zeit – und daher weigerte sie sich auch, etwas gegen die Zwangsversteigerungen zu unternehmen. Jedoch war es der Verfall der Immobilienpreise, der die auf Hypotheken basierenden Sicherheiten und andere Kredite in die Krise riss, und deswegen wurden die Banken insolvent. Die Regierung hat versucht, diejenigen zu retten, die schlechte Schuldtitel hielten und ermöglichte dadurch, dass sich das Problem mit den faulen Krediten verschlimmerte.

Monate lang weigerte sich die Regierung, den Banken frisches Geld zu besorgen. Stattdessen sagten sie zu den Banken: Wir werden einige faule Kredite und überzogene Preise aus euren Bilanzen nehmen, um euch dadurch Luft zu verschaffen. Dies ist der schlechteste Weg, die Kreditvergabe zu erneuern. Banken können Kredite in einer Höhe vergeben, die dem Zehnfachen ihrer Einlagen entspricht, wohingegen die Herausnahme von faulen Schulden aus ihren Büchern nicht denselben Effekt hat. In Wahrheit verstand niemand, was Paulsons Plan war und wie er funktionieren würde, und er konnte ihn auch nicht erklären. Der britische Premierminister Gordon Brown meinte, er sei wertlos. Paulson entschloss sich erst zu einem Plan einer teilweisen (und vorübergehenden) Verstaatlichung, nachdem die Briten solches bereits getan hatten; die übrigen Europäer folgten kurz danach.

Paulson trägt somit erhebliche Verantwortung für die Tiefe der Krise. Unter normalen Bedingungen wäre er gezwungen, seinen Hut zu nehmen. Es gibt jedoch in unserem Land ein völliges politisches Vakuum. Die Bush-Administration tat überhaupt nichts; die Republikaner im Kongress leben noch im 19. Jahrhundert; und die Demokraten hatten Angst, dass, wenn sie etwas tun würden, sie ihre Chancen bei den Wahlen verschlechterten – daher taten alle nichts. Es waren dann Paulson und der Chef der Federal Reserve, Ben Bernanke, die das Vakuum füllten, und es war Paulson, der die Wirtschaftspolitik dann umsetzte.

Bernanke behauptet heute, er sei schon immer für die Neuausstattung der Banken mit frischem Geld gewesen. Paulson und Bush hätten sich dagegen verwahrt; doch trotz der auf der Grundlage einer Teilverstaatlichung entwickelten Politik wollte die Regierung keine Aktienpakete der Banken erwerben. Paulson sagte dem Banking Committee des Senats: „Es gab einige, die sagten, wir sollten unbedingt Kapital in die Banken stecken und Vorzugsaktien erwerben. (…) Wir sagten jedoch, die richtige Vorgehensweise sei nicht, Garantien zu verlangen oder Kapital zuzuführen – und es gab verschiedene Vorschläge, genau dies zu tun –, sondern die Marktmechanismen wirken zu lassen.“ Doch heute summt Paulson eine andere Melodie.

Paulsons Version einer Teilverstaatlichung bringt es mit sich, dass den Banken Geld gegeben wird, ohne dass man die Kontrolle darüber ausübt, wie sie es ausgeben. Die Banken werden ziemlich freie Hand bekommen, mit dem Geld zu machen, was ihnen einfällt, weil der Staat nur Vorzugsaktien (ohne Stimmrecht) aufkauft. Was wir sehen, ist in den Worten des für den Multinational Monitor schreibenden Journalisten Robert Weissman, „öffentliches Eigentum ohne öffentliche Kontrolle“. Paulsons neuer Plan stellt schwache Regeln auf, die verlangen, dass Finanzfirmen entmutigt werden, „nicht notwendige und exzessive Risiken einzugehen, die den Wert der Finanzinstitution bedrohen“. Im Wesentlichen läuft das darauf hinaus, dass dieselben Banken, deren unregulierte und liederliche Investitionen uns in den Schlamassel geführt haben, wieder Vertrauen genießen, sich „selbst zu regulieren“. Was kann sie stoppen, staatliche Gelder zu gebrauchen, sogar wenn sie weiterhin Hunderte Milliarden Dollar durch den Kamin jagen, um Aktionäre und Manager auszuzahlen, statt wieder neue Kredite zu vergeben? Weissman schreibt: „Die Banken werden nicht verpflichtet, die neuen Gelder, die sie bekommen, als Kredite auszugeben. Die Banken werden nicht verpflichtet, die Bedingungen für die Hypotheken der Kreditnehmer neu zu verhandeln – obgleich unglaublicherweise jeder sechste Hausbesitzer der Bank mehr schuldet als sein Haus wert ist“.

Braucht es noch mehr Beweise hinsichtlich der Weigerung des Staates, eine richtige Kontrolle über die Banken auszuüben? Der riesigen Versicherungsgesellschaft AIG, die durch eine Aktienübernahme von 80 Prozent durch den Staat gerettet wurde, wurde erlaubt, Millionen Dollar für ihre Lobby-Arbeit beim Kongress auszugeben, für Provisionen zugunsten einer weicheren Variante eines neuen Bundesgesetzes, das eine strikte Kontrolle der Gesellschaften ermöglichen soll, die Hypotheken vergeben.

Somit hat die Regierung in allen Punkten mit derselben Verblendung gehandelt wie die reichsten Kapitalisten. Seit mehr als einem Jahr war es offensichtlich, dass wir uns in einer riesigen Finanzkrise befinden, der schlimmsten seit den 1930er Jahren. Doch bislang hat die Regierung nur Ad-hoc-Maßnahmen übers Knie gebrochen und dadurch die Probleme weiter verschlimmert.
Die Grenzen der Staatsintervention

Es handelt sich um eine internationale Krise, und doch gibt es keine internationale Regierung, die eine koordinierte Antwort durchsetzen könnte. Es gibt keine Regierung, die international alle Banken schützen könnte. Jeder Staat versucht, seine eigenen Banken zu retten. Doch haben sich die Ereignisse so zugespitzt, dass nun alle handeln müssen, und das Ausmaß der Krise hat sie alle gezwungen, auf ähnliche Weise zu handeln. Nach Schätzungen haben die USA bislang 4 bis 6 Billionen Dollar an Steuergeldern für ihre Schutzmaßnahmen aufgebracht, Europa etwa 2,3 Billionen Dollar. Doch geht die Kooperation nicht besonders weit, da jeder Staat versucht, mit den anderen konkurrierenden Staaten Schritt zu halten. Alle verstehen bis zu einem bestimmten Grad, was in den 1930ern passiert ist – dass aus der Rezession eine weltweite Depression wurde, als das Bankensystem zusammenbrach und die Staaten ihre „beggar-thy-neighbor-policies“ (Versuch, die Krisenlasten bei den anderen abzuladen) durchführten, was den Welthandel weiter schrumpfen ließ und die weltweite Depression vertiefte. Doch gleichzeitig gibt es Grenzen für eine mögliche Staatsintervention, weil sie mit den anderen Staaten in Konkurrenz stehen. Jeder kontrolliert nur einen kleinen Bereich einer integrierten Weltwirtschaft. Die Intervention des Staates kann somit die Auswirkungen der Krise abmildern, sie kann die Rezession aber nicht verhindern.

Bisher waren die USA der einzige Staat, der eine internationale Aktion hätte koordinieren können. Doch sie sind gescheitert. Ihre Pläne waren unzureichend, und auf internationaler Ebene nahm sie niemand ernst. Jetzt gibt es einen Konsens, dass nur eine Versorgung mit frischem Geld und staatliche Garantien für die Kreditvergabe zwischen den Banken das Finanzsystem wieder flott machen können. Die britische Regierung geht noch einen Schritt weiter und garantiert nicht nur die Bankeinlagen, sondern auch die Kredite zwischen den Banken. Doch der US-Finanzminister Paulson weigert sich, ebenfalls diesen Schritt zu tun. Er möchte das System der Schattenbanken weiterhin schützen.

Gleichzeitig scheint die sich entwickelnde Koordination zwischen den alten, entwickelten Ländern die Schwellenländer der BRIC (Brasilien, Russland, Indien und China) sowie die anderen Entwicklungsländer nicht einzuschließen. Einige der reicheren Länder finden es relativ einfacher, allein Gegenmaßnahmen zu ergreifen, während viele Entwicklungsländer (außer China) große Schwierigkeiten haben werden. Lee Sustar schrieb in Socialist Worker: „Wenn die Banken wirklich verstaatlicht sind, wird die Gesundheit des Finanzsystems von der Steuersituation jedes Landes abhängen.“ Kleinere und stärker verschuldete Staaten, etwa in Osteuropa oder Lateinamerika, werden einen deutlich geringeren Manövrierspielraum haben und womöglich in eine Depression rutschen, die der Lage in den 1930er Jahren ähnelt.

Wenn die Schutzschirme für die Vergabe neuer Kredite sorgen, was der Fall sein könnte, wenn dieser Artikel erscheint, dann bedeutet das mitnichten, dass die Krise vorüber ist. Auch wenn die Banken wieder anfangen, Kredite zu vergeben, dann tun sie dies mit viel weniger Kapital, denn sie haben immer noch mit den Verlusten aus mit Immobilien unterlegten Sicherheiten zu tun. Die Bank Lehman Brothers brach wegen des Preisverfalls von kommerziellen Immobilien zusammen, und die AIG-Versicherung brauchte Mitte September 85 Mrd. Dollar Staatshilfe (die später auf 122 Mrd. US-Dollar aufgestockt wurde), um die Lücken in den Kreditausfallversicherungen zu decken – und weitere Löcher werden zu Tage treten. Es wird weitere Verluste bei Banken geben wegen der Autokredite, wegen Krediten für Geschäfts- und Bautätigkeit oder wegen Finanzierungen von Firmenzusammenschlüssen. Die Gesamtstruktur der Kredite war in anderen Bereichen genauso schlecht wie im Immobilienbereich. Viele faule Kredite, die ohne Dokumentation oder Eigenkapital vergeben wurden, wurden auch auf Private-Equity-Firmen oder Hedge Fonds übertragen. Diese Kredite werden in Bälde fällig werden, und die Banken werden nicht in der Lage sein, sie mit neuen Krediten abzulösen. Als Konsequenz werden alle möglichen Arten von „junk bonds“ (Ramschanlagen) oder „leveraged buyouts“ (unsichtbare, weil kreditfinanzierte Ausverkäufe) pleite gehen.

Das ganze Bankensystem muss „enthebelt“ werden (die Relation Eigenkapital zu Kredit verkürzt werden). Es kann den Banken nicht länger erlaubt werden, Kredite zu vergeben, deren Höhe ihr Eigenkapital um das dreißig- oder vierzigfache übersteigt. Das Verhältnis Eigenkapital zu Kreditvergabe darf höchstens zehn sein, was enge Kreditlinien bedeutet. So wie die „asset inflation“ (Aufblähung der Aktiva) und die Kreditblase den Boom verstärkt und zur Schöpfung von riesigen Summen an fiktivem Kapital beigetragen haben, wird die Zerstörung dieses fiktiven Kapitals und die Vernichtung von realem Kapital den Niedergang verlängern.
Die Auswirkungen der Krise auf die Position der USA im Weltsystem

Die Vereinigten Staaten befinden sich wirtschaftlich, militärisch und ideologisch im Niedergang. Den „Washingtoner Konsens“ (10 Gebote des Neoliberalismus von 1990, d. Ü.) – die wirtschaftliche und ideologische Vorherrschaft der Vereinigten Staaten gibt es nicht mehr. Die USA befinden sich nicht länger in der Lage, dem Rest der Welt zu diktieren, was er zu tun hat. Diese Welt – eine Welt, in der die USA das Welthandelssystem dominierten und ihm die Regeln gaben, in der sie die Weltfinanz mittels ihrer Banken, die die stärksten der Welt waren, dominieren konnten – ist untergegangen.

In militärischer Hinsicht bleiben die USA ohne Herausforderung, aber die Krise legt ihnen größere wirtschaftliche Zwänge auf, diese Überlegenheit zu erhalten. Im Irak und in Afghanistan haben sie sich in den Sumpf geritten, in Nahost in eine ausweglose Lage gebracht, die ungeheure Summen Geldes verschlingt und den Militärs große Zwänge auferlegt. Die USA verfügen nun nicht mehr über die Option, in Nordkorea oder Syrien oder in ein anderes Land der „Achse des Bösen“ einzumarschieren. Sie können nicht mehr auf die Neufestlegung der Kontrolle Georgiens durch Russland reagieren, wie sie es gerne täten, außer mit heißer Luft. Wir werden gerade Zeugen des gleichzeitigen Zusammenbruchs des Washingtoner Konsenses und der Bush-Doktrin, also der beiden Pfeiler der amerikanischen Wirtschafts- und Militärpolitik.

Die herrschende Klasse der USA wird ihre Politik und ihre Optionen neu bestimmen müssen. Dies wird nicht in der Periode vor den Wahlen passieren. Bisher bekommen wir nur Platituden zu hören. Dies gilt sowohl für John McCain wie für Barack Obama und deren jeweilige politische Parteien, denn sie möchten mitten im Wahlkampf jede schwierige Entscheidung vermeiden. Trotzdem müssen alle Optionen neu bedacht werden.

Allerdings ist es schwierig, zu diskutieren, wie sich die Dinge entwickeln werden, weil die Wirtschaftskrise gerade erst begonnen hat und wir ihre Auswirkungen auf andere Länder noch gar nicht kennen können. Beispielsweise fühlten sich die Russen stark genug, gegen das amerikanische Vordringen in Gebiete, die sie als ihre Sicherheitszone ansehen, die Länder Mittelasiens und des Kaukasus, vorzugehen; dies war das Ergebnis des enormen wirtschaftlichen Aufstiegs von Russland, wie er sich aus dem Boom für Erdöl und Rohstoffe entwickelte. Der Boom führte dazu, dass Russland über 500 Milliarden Dollar an Währungsreserven in der US-Währung hielt, die dritthöchsten Reserven nach China und Japan. Es dachte, es hätte ausreichend Mittel, um sein Militär zu modernisieren. Dies stimmte bis vor ein paar Monaten. Der Zusammenbruch des Ölpreises hat zu riesigen Kreditausfällen in Russland geführt und seine Börse zählt heute zu den verwundbarsten der Welt. Im Oktober 2008 wurde sie infolge der Bankenkrise binnen zwei Wochen dreimal geschlossen. Somit konnte man vor ein paar Monaten noch von einem Wiederaufstieg von Russland sprechen, doch heute ist es schwierig, die Sache in gleicher Weise zu sehen.

Auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück verkündete Ende September 2008, die USA seien nicht länger die finanzielle Supermacht der Welt und es würde in Zukunft eine multipolare Finanzwelt geben. Eine Woche später schlugen die Franzosen einen gemeinsamen Schutzschild in der Art des Engagements von Paulson vor, aber Deutschland verweigerte seine Teilnahme, was in Europa eine Kreditkrise auslöste. Die Deutschen meinten, die Krise sei ein amerikanisches und kein deutsches Problem. Doch die Wahrheit könnte sein, dass sich das deutsche Bankensystem als das schwächste erweist, weil es wohl noch einen größeren Kredithebel angewandt hat als die US-amerikanischen Banken. Sie haben massiv aufgeblähte Aktiva in ihren Büchern. Die Tatsache, dass Deutschland Mitte Oktober schließlich 480 Mrd. Euro (679 Mrd. Dollar) zur Verfügung stellte, um seine Banken zu rekapitalisieren, ist Beweis genug für den Ernst seiner Bankenkrise.

Hinter der Position des Dollar stehen weitere Fragezeichen. Noch vor drei Monaten ging der Dollar in die Knie, aber in jüngster Vergangenheit erholte sich der Dollar ganz enorm, als sich die Krise international ausbreitete. So stellt sich die Frage nicht nur nach den Auswirkungen der Krise auf die USA, sondern für jedes Land, und wie es sich im Verhältnis zu den anderen positioniert.

Wir wissen, dass es eine riesige Verschiebung im internationalen Kräfteverhältnis geben wird. Wir wissen, dass die USA eine übertriebene Sicht ihrer Macht hatten. Sie stand hinter dem Schnauben der Neocons[ervatives] und dem Trompetengedröhn der Bush-Doktrin – dass die USA nämlich die Möglichkeit besäßen, nach Gusto Länder nicht nur präventiv zu überfallen, sondern auch zu besetzen. Dies ist nun als Blödsinn entlarvt. Deshalb wird es eine große Neuausrichtung auf der Grundlage des wirklichen Kräfteverhältnisses auf der Welt geben müssen. Doch es ist augenblicklich zu Beginn der Krise unmöglich, Genaueres dazu zu sagen, weil wir nicht nur über die USA reden, sondern auch darüber, wie die Krise die übrige Welt trifft.

Sicher ist jedoch, dass es eine große Anzahl von nationalistischen und protektionistischen Konflikten geben wird. Bereits bevor die Rezession begann, war die Doha-Runde über Handelserleichterungen ergebnislos auseinandergegangen, weil sich die von China und Indien angeführten Entwicklungsländer gegen die Bemühungen der G-8-Länder stellten, größere Marktöffnungen auf den sich entwickelnden Märkten zu erzwingen, obwohl sie selbst keine Konzessionen zu machen gedachten. Verschiedene Länder sind dabei, das zu tun, was sie für nötig erachten, sich gegen diese Konkurrenz zu schützen. Wir wissen nicht, wie diese Auseinandersetzung weitergehen wird. Doch wir wissen, dass es Versuche geben wird, die Arbeiterklasse die Krise bezahlen zu lassen, was die Möglichkeit für größeren Widerstand und Klassenkämpfe schaffen könnte. Und es wird auch Versuche geben, andere Länder den Preis zahlen zu lassen, und daher wird es auch zu Kämpfen zwischen Ländern kommen. Jenseits dieser allgemeinen Überlegungen ist es noch zu früh, Genaueres vorherzusagen. Schon in den kommenden Monaten werden wir mehr wissen.

In den späten 1980er und den 1990er Jahren verbesserten die USA ihre Wettbewerbsposition in der Weltwirtschaft und versuchten, ihre Rolle als einzige Supermacht zu behaupten. Obwohl sie in den vergangenen 25 Jahren höhere Wachstumsraten aufwiesen als ihre Konkurrenten in Japan und Europa, fielen sie hinter die Wachstumsraten von Schwellenländern wie China und Indien zurück, und die Bemühungen, die Wirtschaft zu stützen, bewirkten eine hohe Verschuldung. Das Ergebnis war, dass die USA in der letzten Dekade ihre Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt verloren haben. Nun müssen sie die Wirtschaft umbauen, was zu Versuchen führen wird, die Ausbeutungsrate [1] zu steigern – steigende Produktivität bei geringeren Löhnen und höheren Profiten. In der Autoindustrie haben wir das bereits gesehen, wo die Löhne in vielen Fällen auf die Hälfte zusammengekürzt wurden. Die USA werden im Vergleich zu den Konkurrenten ein Billiglohnland werden. Die Löhne in der Autoindustrie betragen wohl nur ein Drittel der Löhne in Deutschland. Der Minimallohn liegt bei der Hälfte dessen, was in Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder Irland bezahlt wird. Die Widersprüche des Neoliberalismus haben die Verarmung und das Elend der US-amerikanischen Arbeiterklasse gesteigert. Und um aus der Krise herauszukommen, müssen die Bosse den Lebensstandard der Arbeitenden noch mehr angreifen.
Fragen, die durch die Krise aufgeworfen werden

Die wirtschaftliche Instabilität dieser Periode führt auch zu politischer und ideologischer Instabilität. Das Bewusstsein der Arbeiterklasse beginnt sich als Antwort darauf zu entwickeln. Bisher dachten die Menschen, bei der Rezession handle es sich um einen Niedergang des Immobilienmarktes, und im vergangenen Jahr um einen Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und Benzin. Nun werden ihre Renten zusammengestutzt, was bedeutet, dass die Ersparnisse der amerikanischen ArbeiterInnen zusammenschmelzen wegen des Verfalls der Häuserpreise, der Pensionsfonds usw. Die Einkommen der einfachen Menschen gehen zurück, und die Entlassungen nehmen zu. Alle wissen, dass wir uns in einer Krise befinden, und niemand hat zum Bankensystem oder zur Regierung Vertrauen. Einige Leute werden durch die Obamamania mitgerissen und haben die Hoffnung, dass sich irgendwas ändert, denn es gibt kein Vertrauen in die bestehenden Institutionen oder in die PolitikerInnen. Es wäre schwierig, eine Person zu finden – von Obama einmal abgesehen –, über die man sich Illusionen machen könnte. Auch singen gewöhnliche Menschen keine Lobeshymnen auf den Markt – sie akzeptieren ihn, aber sie fallen ihm nicht in die Arme. Nun müssen sie sein totales Scheitern erkennen – und sehen, dass ein Eingreifen der Regierung notwendig ist.

Der Staat muss intervenieren. Das sagen die Banken, das sagt die Kapitalistenklasse, wenn man einmal von den zunehmend randständigen Konservativen absieht. Es hat eine riesige Verschiebung gegeben, wenn man sich überlegt, wie die Medien und die Universitäten die Ideologie des freien Marktes hinausposaunt haben. Sie haben die Idee artikuliert, Märkte seien gut und ein Eingreifen des Staates schlecht, und die Antwort auf alle Fragen sei eine ungebremste Globalisierung. All dies stürzt nun vor unseren Augen zusammen.

Wodurch wird es ersetzt? Die unmittelbare Antwort wird der traditionelle Liberalismus (gemeint im Sinne von Roosevelts New Deal, d. Ü.) sein. Die Demokraten werden die Wahlen hochkantig gewinnen. Sie entwickeln gerade einen alternativen Wirtschaftsplan. Es wird Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft durch größere Arbeitslosenunterstützung und größere Ausgaben für die Infrastruktur geben. Überall wird der Ruf erklingen, die Opfer besser zu verteilen. Von den Milliardären kann so ein Ruf nicht kommen – dazu braucht man die Liberalen und die Demokraten! Bislang hielt man die Bush-Administration für verantwortlich für den Krieg und das wirtschaftliche Desaster – der Feind stand rechts. Nun werden wir den Liberalismus an der Regierung haben, und was er nicht zustande bringt – bei der Linderung der Arbeitslosigkeit, der Unterstützung der Arbeitslosen und dem Stopp der Zwangsversteigerungen – wird die Politik in den USA ummodeln.

Die Wirtschaftskrise bedeutet keineswegs, dass es nur Öffnungen nach links geben wird. Auch die Rechte wird wachsen. In Österreich erreichten die rechten Parteien 30 Prozent der Stimmen. In Italien sind Neofaschisten an einer Koalitionsregierung beteiligt, die rassistische Gesetze gegen die Roma und Sinti verabschiedet hat. In Südafrika gab es Pogrome gegen die Zuwanderung aus anderen afrikanischen Ländern. Die Rechte wird viele niederträchtige politische Initiativen starten, was große Gefahren mit sich bringen wird. Es wird nicht die traditionelle Rechte sein, sondern es werden sich neue rechte Formationen auf der Grundlage des Rassismus gegen ArbeitsimmigrantInnen, von Protektionismus und anderen Formen des rechten Populismus bilden.

Auf der anderen Seite gibt es ernorme Öffnungen für die Linke, die Jahrzehnte lang marginalisiert war. Das Desaster des freien Marktes macht es für uns einfacher, das Scheitern des Kapitalismus und die Notwendigkeit einer Alternative auf der Grundlage der menschlichen Bedürfnisse zu thematisieren. Der freie Markt, der vorgeblich 1989 triumphierte und uns das „Ende der Geschichte“ (Titel eines Buches des US-Sozialphilosophen Fukujama, d. Ü.) brachte, hat nur zu Elend und zum Ruin von Millionen Menschen geführt, die nun in Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, Krankheit dahinvegetieren müssen, doch dank der jahrzehntelangen Manie für den freien Markt verfügen sie nur über ein löchriges Sicherheitsnetz, das diesen Problemen nicht annähernd gewachsen ist.
             
Das wird die Menschen zwingen, sich zu fragen: Was bedeutet die Intervention der Regierung, wenn es sich nicht um eine Arbeiterregierung oder eine Regierung der Volksmassen, sondern um eine Regierung, die die Interessen der Eigentümer, der Banker oder der Industriellen vertritt, handelt? Der Staat wird für staatskapitalistische Zwecke benutzt, um das Kapital zu reorganisieren, auch wenn es für einige Exzesse büßen muss. Doch ihr Ziel ist es, den Kapitalismus und seine gesellschaftlichen Verhältnisse am Leben zu erhalten – Verhältnisse, unter denen die Arbeitenden zugunsten der Profite von wenigen beherrscht und ausgebeutet werden. Zum Teil wird der Umbau, wie wir bereits gesagt haben, sogar noch zu härteren Angriffen auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse führen. Gleichzeitig eröffnen die Verstaatlichungen für uns den Raum, insgesamt gegen die Privatisierung zu argumentieren, die öffentlichen Schulen gegen die Privatisierung zu verteidigen oder sogar für ein nationales Gesundheitswesen einzutreten. Doch wir müssen uns über die Logik der staatskapitalistischen Nationalisierung im Klaren sein, nämlich, dass die Intervention des Staates zur Unterstützung der Banker und Industriellen auf unsere Kosten und ohne jede demokratische Kontrolle über diesen Prozess vorgenommen wird –sie stellt also keine große Verbesserung gegenüber der früheren Politik dar. Die Liberalen akzeptieren diese Art von Staatsintervention. Wir müssen eine Staatsintervention fordern, die nur durch den Druck der Massen und die Kontrolle von unten entstehen kann – eine Intervention, die ein besseres Gesundheitswesen, bessere Bildung, höhere Arbeitslosenunterstützung, Schutz vor Zwangsversteigerungen usw. anstrebt.

Die Linke muss auf zwei Ebenen vorgehen. Erstens muss in diesem Land eine Linke aufgebaut, oder besser: wieder aufgebaut werden, die bereit ist, an allen Fronten in Verteidigung der Interessen der Arbeitenden, gleich ob gegen Entlassungen, gegen Zwangsversteigerungen, gegen Einschnitte ins Gesundheitswesen und Sozialleistungen zu kämpfen. Und zweitens muss die Linke bereit sein, an allen Kämpfen teilzunehmen, in denen es um die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse geht, und sie muss eine politische und ideologische Alternative zum freien Markt und seinen Apologeten bieten, ob sie nun von den Konservativen oder den Liberalen kommen. Die Linke muss die Krise nützen, um eine ideologische Offensive gegen den Kapitalismus zu führen und für eine sozialistische Alternative einzutreten.

Joel Geier

(Der Autor ist Mitherausgeber der International Socialist Review; Quelle: INPREKORR; Übersetzung aus dem Englischen (USA): Paul B. Kleiser)