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Kapitalistische Krise: IWF versenken statt recyclen

Der G20-Gipfel in London war eine große Show. Dahinter verbargen die globalen Eliten ihre tiefe Sorge und Angst darüber, dass sie nicht wissen, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft entwickelt und welche Maßnahmen zu ihrer Stabilisierung ergriffen werden können. Die jüngsten Statistiken übertreffen selbst die düstersten Prognosen. Das gefürchtete "D"-Wort [Depression] beginnt, die Runde zu machen, und es dämmert allmählich, dass sich eine Flutwelle aufbaut, die die Billionen Dollar für Konjunkturprogramme noch unter sich begraben wird. WALDEN BELLO für eine ent-globalisierte postkapitalistische Ordnung

04.06.2009

Lautstark wurde der G20-Gipfel als neues "Bretton Woods" angekündigt. In dem kleinen Ort im US-Bundestaat New Hampshire entwarfen im Juli 1944 Vertreter von 44 kapitalistischen Ländern eine multilaterale Nachkriegsordnung mit den USA als Zentrum.
Tatsächlich hätte der Unterschied zwischen den beiden Konferenzen nicht größer sein können. Der Londoner Gipfel dauerte einen Tag; die Bretton-Woods-Konferenz war ein hartes Arbeitstreffen, das 21 Tage dauerte.
Der Londoner Gipfel war exklusiv: 20 Regierungen maßten sich an, für die restlichen 172 Länder der Erde zu entscheiden. Bretton Woods versuchte hartnäckig, möglichst viele Länder einzubeziehen, um genau den Geruch des Illegitimen zu vermeiden, der dem Londoner Treffen anhängt.

Bretton Woods schuf zur Ordnung der Nachkriegswelt eine Reihe neuer multilateraler Institutionen und Regeln. Die G20 haben gescheiterte Institutionen recycelt: die G20 selbst, das Finanzstabilitätsforum (FSF), die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und "Basel II", und den nunmehr 65 Jahre alten Internationalen Währungsfonds (IWF).
Einige dieser Institutionen wurden von den G7 nach der Asienkrise 1997 geschaffen, um eine neue Finanzarchitektur auszuarbeiten, die verhindern sollte, dass sich das Debakel, das der IWF mit seiner Liberalisierung des Kapitalverkehrs angerichtet hatte, wiederholt. Statt aber Sicherungen einzuziehen, haben alle diese Institutionen das Lied von der "Selbstregulierung" der globalen Finanzelite gesungen.

Zu den immer wiederkehrenden Dogmen, denen auf diese Weise höhere Weihen verliehen wurden, zählten die folgenden: Kapitalkontrollen sind schlecht für Länder in Entwicklung; Leerverkäufe und Spekulationen auf Kredite sind legitime Marktoperationen; Derivate – das sind Wertpapiere, die Wetten auf die Kursbewegung dahinter liegender Vermögenswerte erlauben – "perfektionieren" den Markt. Implizit empfahlen sie mit ihrer Untätigkeit, die beste Form der Marktregulierung sei, die Marktakteure sich selbst zu überlassen, denn sie hätten diese hoch entwickelten, angeblich verlässlichen Modelle des Risikomanagements ja entwickelt. Institutionen, die Teil des Problems sind, wurden von den G20 gebeten, Teil der Lösung zu werden.
Den problematischsten Teil der G20-Beschlüsse bilden die Vorschläge betreffend den IWF. Die USA und die EU wollen sein Kapital von 250 Mrd. auf 500 Mrd. Dollar aufstocken. Der IWF soll diese Gelder an Länder in Entwicklung ausleihen, damit sie ihre Wirtschaft ankurbeln; US-Finanzminister Tim Geithner meinte sogar, der IWF solle sie dabei beaufsichtigen.
Wenn es je einen Rohrkrepierer gegeben hat, dann diesen. Die Frage der Vertretung der Länder des Südens im IWF wurde nicht gelöst. Trotz der Forderung nach mehr Stimmrechten für die Länder des Südens hat sich an der Stimmverteilung nur wenig geändert; die reichen Länder sind nach wie vor in den Entscheidungsinstanzen des IWF überrepräsentiert. Europa hält ein Drittel der Sitze im Direktorium und fordert für sich das feudale Recht, immer den Posten des geschäftsführenden Direktors besetzen zu können. Die USA halten 17% der Stimmrechte, was ihnen Vetorecht verleiht.

IWF – ein untaugliches Krisenmanagement

Mehr als alles andere wurde die Glaubwürdigkeit des IWF durch sein Verhalten in der Asienkrise 1997 unterminiert. Er ist für sie mit verantwortlich, weil er die asiatischen Länder gedrängt hat, die Kapitalverkehrskontrollen aufzuheben und den Finanzsektor zu liberalisieren; er erleichterte damit das massive Eindringen spekulativen Kapitals in diese Länder, aber auch seinen plötzlichen, destabilisierenden Rückzug beim ersten Anzeichen der Krise.
Der IWF hat die asiatischen Regierungen auch gedrängt, ihre Ausgaben zu kürzen, um das angeblich größte Problem, die Inflation, zu vermeiden; dabei hätte er sie ermutigen müssen, die Nachfrage zu stimulieren, um ein Gegengewicht zum kollabierenden Privatsektor zu schaffen. Seine prozyklischen Empfehlungen bewirkten eine Beschleunigung des Wegs in die Rezession.
Die Milliarden aus dem IWF-Rettungsfonds flossen dann nicht in die Wiederaufrichtung der kollabierenden Ökonomien, sondern an ausländischen Finanzinstitutionen, um deren Verluste auszugleichen.
Wenige Jahre später, 2003, entledigte sich Thailand seiner IWF-Schuld und erklärte seine "finanzielle Unabhängigkeit". Brasilien, Venezuela und Argentinien folgten auf dem Fuße, und auch Indonesien erklärte seine Absicht. Andere Länder zogen es vor, sich gegen äußere Entwicklungen lieber mit eigenen Währungsreserven abzusichern, als neue IWF-Kredite auszuhandeln. Das stürzte den Fonds in eine Haushaltskrise, denn der größte Teil seiner Einkommen speiste sich aus den Schuldenzahlungen der größeren Entwicklungsländer.

AnhängerInnen des IWF meinen, der Fonds habe sich heute zu einer keynesianischen Ausgabenpolitik bekehrt, Kritiker sehen das ganz anders. Eurodad, eine NGO, die das Kreditgebaren des IWF beobachtet, sagt, der Fonds belaste seine Kredite immer noch mit erdrückenden Bedingungen. Neuere Kredite sind weiter an die Auflagen gebunden, das Finanzwesen zu liberalisieren.
Obwohl Konjunkturprogramme im Trend sind, und einige Länder, wie die USA, Regierungen eher dazu drängen, ihr Ausgabenprogramme auf mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, fordert der IWF von ärmeren Kreditnehmern, dass ihre kreditfinanzierten Ausgaben 1% des BIP nicht übersteigen.
Mit dieser Erblast wird es dem IWF schwer fallen, international Geld für ein von ihm verwaltetes globales Konjunkturpaket einzusammeln.

Alternativen

Die Antwort des Nordens auf die Krise ähnelt in vielem dem berühmten Ausspruch von Keynes: "Die Schwierigkeit liegt nicht so sehr darin, neue Ideen zu entwickeln, als sich aus den alten zu befreien." Welche Wege gibt es, das alte Denken zu überwinden?
Zunächst muss das selten gewordene Gut Glaubwürdigkeit wiederhergestellt werden. Der UNO-Generalsekretär und die UN-Vollversammlung – nicht die G20! – sollten eine Sondersitzung einberufen, um die Umrisse einer neuen Weltordnung zu umreißen. Vorarbeiten dafür hat eine Expertenkommission zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems geleistet; sie wurde vom Präsidenten der UN-Vollversammlung, Miguel d'Escoto, einberufen und arbeitet unter dem Vorsitz von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Die Tagung soll, wie die Bretton-Woods-Konferenz, ein inklusives mehrwöchiges Arbeitstreffen sein.
Eines ihrer wichtigsten Ergebnisse könnte die Gründung eines repräsentativen Forums in der Art des von der Stiglitz-Kommission vorgeschlagenen Globalen Koordinierungsrats sein; seine Aufgabe wäre die Koordinierung einer globalen Wirtschafts- und Finanzreform.

Zweitens müssen die Schulden der Länder des Südens gegenüber den Institutionen des Nordens gestrichen werden. Die meisten dieser Schulden wurden unter erpresserischen Bedingungen ausgehandelt und bereits mehrfach zurückgezahlt. Sich entwickelnde Länder hätten damit mehr Mittel an der Hand, das hätte eine belebendere Wirkung als neue Kredite vom IWF.
Drittens sollten im Mittelpunkt der neuen Finanzarchitektur und der neuen Global Governance regionale Finanzstrukturen stehen, nicht ein Finanzsystem, in dem die Länder des Nordens ein weiteres Mal zentralisierte Institutionen wie den IWF dominieren und darüber Ressourcen und Macht monopolisieren. In Ostasien stellen die "ASEAN-plus-3-Gruppe" oder die "Chiang-Mai-Initiative" ermutigende Schritte in dieser Richtung dar; sie müssen ausgebaut werden, sie müssen gegenüber der Bevölkerung der Region aber auch rechenschaftspflichtig werden. In Lateinamerika gibt es ebenfalls ermutigende regionale Initiativen, so die Bolivarianische Alternative für Amerika (ALBA) und die Bank des Südens.

Dies sind unmittelbare Schritte, die natürlich im Kontext einer längerfristigen, grundsätzlichen strategischen Neuausrichtung des globalen kapitalistischen Systems zu sehen sind, das jetzt vor dem Kollaps steht. Die derzeitige Krise ist eine große Chance, ein neues System zu entwickeln, das nicht nur der gescheiterten neoliberalen Global Governance ein Ende setzt, sondern überhaupt der euro-amerikanischen Herrschaft der globalen kapitalistischen Wirtschaft. An seine Stelle kann eine dezentralisiertere, ent-globalisierte demokratische postkapitalistische Ordnung treten.

Walden Bello

(Der Autor ist Mitarbeiter von Focus on the Global South in Bangkok und Vorsitzender der Philippines Freedom from Debt Coalition, die sich für Schuldenstreichung einsetzt. Der Beitrag erschien zuerst auf englisch in Foreign Policy in Focus (Übersetzung: ak), Quelle: SOZ)