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Die Pariser Kommune von 1871 - die erste Regierung der ArbeiterInnenklasse

Für Karl Marx war die Pariser Kommune "wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfes der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte". Vor 140 Jahren, im Mai 1871, unterlag sie der blutigen Konterrevolution.

10.11.2011

Für Marx war die Pariser Kommune "wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfes der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte". Vor 140 Jahren, im Mai 1871, unterlag sie der blutigen Konterrevolution.

Im Jahr 1871 regiert seit seinem Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 Kaiser Napoleon III. Zunehmend verlassen von seinen Anhängern, sieht er 1870 im Krieg gegen Preußen das einzige Mittel, sich an der Macht zu halten. Doch seine Armee kapituliert vor Sedan, und er ist nun selbst Gefangener. Bei dieser Nachricht erhebt sich die Pariser Bevölkerung und am 4. September wird die Republik ausgerufen – mit der Absicht, die "preußischen Invasoren zu verjagen". Eine bürgerliche Regierung der "nationalen Verteidigung" wird gebildet, während Paris einer schrecklichen Belagerung ausgesetzt ist.

Am 8. Februar 1871 wird eine Nationalversammlung gewählt, die in ihrer großen Mehrheit aus Royalisten besteht, die die «ländliche Bevölkerung» repräsentieren. Sie hat ihren Sitz in Bordeaux und wählt Louis-Adolphe Thiers zum Chef der Exekutive. Dieser begibt sich nach Versailles, um mit Bismarck die Kapitulation auszuhandeln (sie wird am 26.Februar unterzeichnet).

In Paris umfasst die Nationalgarde alle wehrfähigen Männer (200 Bataillone mit 170.000 Mann). Sie sind gut bewaffnet, verfügen über Hunderte Kanonen, die sie selbst bezahlt haben, und sie haben gewählte Kommandeure. Besorgt über ihren unbeugsamen Willen zum Widerstand, will sich Thiers der Kanonen bemächtigen, die sich am Montmartre befinden.

Es ist der berühmte 18. März, der Beginn des Volksaufstands: Bevölkerung und Soldaten verbrüdern sich, die Regierung flieht nach Versailles, begleitet von einer demoralisierten Truppe. Ohne dass dies im mindesten angestrebt worden wäre, fällt die Macht in die Hände des Zentralkomitees der Nationalgarde. Dieses setzt sich zusammen aus gemäßigten Kleinbürgern, die einen Horror vor Illegalität und Gewalt haben und deren größter Wunsch es ist, einem regulär gewählten Gemeinderat Platz zu machen, der am 28. März entsteht: der Generalrat der Kommune.

Die Mehrheit der 90 Gewählten sind Revolutionäre (darunter 25 Arbeiter), aber sie teilen sich in drei Gruppen auf, die sich ständig streiten: die Anhänger der Internationalen Arbeiterassoziation (der 1. Internationale), die blanquistische Partei und schließlich die Mehrheit aus sogenannten Jakobinern – Kleinbürger, die von einer rein politischen Revolution träumen.

Soziale und symbolische Maßnahmen

Der Volksaufstand entwickelt sich binnen zwei Wochen zu einer echten sozialen Revolution; die Kommune trifft zahlreiche beispielhafte Entscheidungen. Zunächst seien die sozialen Maßnahmen genannt: der Erlass der seit Oktober 1870 rückständigen Wohnungsmieten, die Abschaffung der Nachtarbeit für Bäcker, das Verbot von Bußgeldern und Lohnabzügen in Fabriken und Verwaltung, die Abschaffung der Pfandhäuser, die Einführung eines obligatorischen unentgeltlichen und weltlichen Unterrichts mit integrierter Berufsausbildung und die Erfassung aufgegebener Fabriken, um sie Arbeiterkooperativen zur Verfügung zu stellen.

Gleichzeitig gab es auch Maßnahmen von großer symbolischer Bedeutung: die Abschaffung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch die Nationalgarde, in der alle Bürger dienen müssen; die Wahl und Abwählbarkeit aller Vertreter in der Verwaltung, der Justiz, dem Bildungswesen und in der Nationalgarde sowie die Beschränkung des Lohns der Angestellten der Kommune auf den eines Arbeiters und die Trennung der Kirche vom Staat. Symbolisch waren auch die Zerstörung der kaiserlichen Säule auf der Place Vendôme, das Niederbrennen von Thiers Haus und die Verbrennung der Guillotine.

Die Modernität der Kommune

Es sind jedoch vor allem zwei Aspekte zu betonen, die die "Modernität" der Kommune verdeutlichen: Sie betreffen die Frauen und die Ausländer:
Die Frauen hatten einen gewaltigen Anteil an den Mobilisierungen und sich in Stadtteilkomitees organisiert. Louise Michel ist sehr bekannt, doch man darf auch Elisabeth Dimitrieff nicht vergessen, die den ersten Frauenverband gegründet hat. Über tausend Frauen nahmen am Kriegsrat teil, und die pétroleuses*, die beschuldigt wurden, Bourgeoishäuser angesteckt zu haben, wurden von berühmten Schriftstellern unflätig beschimpft. So erklärte Alexandre Dumas (der Autor der Kameliendame): "Wir werden nichts über ihre Weibsbilder sagen, aus Respekt vor den Frauen, denen sie ähnlich sehen – wenn sie tot sind."

Die Ausländer haben sich zu Hunderten an der Kommune beteiligt, viele von ihnen haben – einzigartig in der Weltgeschichte – führende Positionen eingenommen: Die besten Generäle waren Polen (Jaroslaw Dabrowski und Walery Wróblewski), der Arbeitsminister war ein ungarischer Jude (der Goldschmied Leo Frankel). Er war aufgrund der Empfehlungen der Wahlkommission in den Generalrat der Kommune gewählt worden: "In Anbetracht, dass das Banner der Kommune das der universellen Republik ist und diese das Recht hat, Ausländern, die ihr dienen, das Bürgerrecht zu verleihen, … ist die Kommission der Meinung, dass die Ausländer [zur Wahl] zugelassen werden können, und schlägt die Zulassung des Bürgers Frankel vor."

Schwächen und Lehren

Die Vernichtung der Kommune durch die Versailler Armeen ist bekannt: Am 21. Mai 1871 beginnt die "Blutwoche", das grauenhafteste Massaker, das je in so kurzer Zeit von einer in Bedrängnis geratenen Macht durchgeführt wurde, die begierig ist sich zu rächen und die ArbeiterInnenklasse auf lange Zeit zu vernichten (über 20.000 Tote, tausende Verurteilte oder nach Übersee Deportierte).

Aus diesen 72 Tagen haben Marx, Engels, Lenin, Trotzki zahlreiche Lehren gezogen. Alle stimmen dabei in der Betonung der größten Schwächen der Kommune überein: Sie hat die Grenzen der Spontaneität der Massen gezeigt; ihr fantastischer Aufschwung ging einher mit der Tendenz, auf halbem Wege stehenzubeleiben und sich mit den ersten Erfolgen zufrieden zu geben. Dennoch gelangte das Pariser Proletariat an die Macht und hat, ohne bewusste revolutionäre Führung, alle Gelegenheiten verstreichen lassen, ihren Feind niederzuwerfen: Ihre beiden größten Fehler waren das Versäumnis, sofort nach Versailles zu marschieren, und der heilige Respekt vor dem Privateigentum, besonders vor der Bank von Frankreich (die Versailles weitgehend finanzierte).

Mit der Kommune sah sich Marx in seiner Vorstellung bestätigt, dass der bürgerliche Staat nicht reformiert, sondern zerstört und durch andere Institutionen ersetzt werden müsse. Die Kommune hatte damit angefangen, allerdings nur zaghaft; und die Vertreter des bürgerlichen Staates, denen das zögerliche Verhalten der Kommune die Möglichkeit gegeben hatte, sich in Versailles neu zu formieren, haben das schlimmste Massaker an ArbeiterInnen in der Geschichte Frankreichs verübt.

Schließlich ist vielleicht die wichtigste Lehre der Kommune, die von allen späteren revolutionären Erfahrungen bestätigt wurde, die, dass gut vorbereitete revolutionäre Organisationen unerlässlich sind. Niemals ist es einem spontanen Volksaufstand allein gelungen, das kapitalistische Regime zu stürzen und die Macht der Arbeitenden zu sichern. Und wenn die Existenz einer oder mehrerer, mit den Massen verbundener revolutionärer Organisationen auch nötig ist, so hat der Verlauf der russischen, chinesischen oder vietnamesischen Revolutionen doch gezeigt, dass dies nicht ausreicht, um den Aufbau einer wirklich selbstverwalteten sozialistischen Gesellschaft zu sichern. Der Charakter der Organisation (demokratisch und von den Ideen der Kommune inspiriert) ist ebenso wichtig wie ihre Existenz.

* Im Mai, als Paris von den Versailler Truppen wieder eingenommen wurde, ging das Gerücht um, Frauen der unteren Klassen würden private und öffentliche Gebäude mit Petroleumflaschen in Brand stecken (ähnlich unseren heutigen Molotowcocktails), die sie in Kellerfenster warfen. Viele Pariser Gebäude, auch das Rathaus und der Palast der Tuilerien wurden in den letzten Tagen der Kommune angezündet. Daher bekamen die Frauen der Kommune den Namen «pétroleuses».

Jean-Michel Krivine