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Stefanie Hürtgen: Transnationales Co-Management

Die Studie zeigt deutlich, wie weit entfernt die Mehrheit der "Euro-Betriebsräte" vom Internationalisieren der Gewerkschaftskämpfe ist und statt dessen nationalstaatliches Lobbying betreiben.

21.05.2009

Während das Kapital zunehmend international agiert, orientierten sich die Gewerkschaften noch immer nationalstaatlich, lautet eine nicht nur in Zeiten der neuen Wirtschaftskrise häufig zu hörende Klage. Wer die Studie der Sozialwissenschaftlerin Stefanie Hürtgen liest, wird feststellen, dass die Gewerkschaften längst im europäischen Rahmen agieren. Das hat allerdings nicht zu einer Internationalisierung von Streiks und Klassenkämpfen, sondern zu einer Ausweitung der Politik des Co-Managements geführt.

Hürtgen führte im Zeitraum von 2000 bis 2003 ausführliche Gespräche mit GewerkschafterInnen aus Deutschland, Polen und Frankreich, die zugleich Mitglieder des Europäischen Betriebsrats waren. Diese institutionelle Form der ArbeitnehmerInnenvertretung geht auf eine europäische Betriebsratrichtlinie von 1994 zurück.

Die politischen Einstellungen von Hürtgens Interviewpartnern differenzieren stark. Am linken Rand stehen die ehemalige PCF- Funktionärin Madeleine F. und der ebenfalls der PCF nahestehende Louis F. aus Frankreich. Am anderen Ende ist der Ostdeutsche Heiner D. positioniert, der seine Betriebsratarbeit als Chance für seine persönliche Karriere ganz ohne klassenkämpferische Intentionen begreift. Auch mehrere der interviewten polnischen GewerkschafterInnen können in diese Kategorie eingeordnet werden. Den Typus des enttäuschten Sozialdemokraten vertritt in dem Buch der langjährige IG-Metall-Funktionär Demiray D.
Doch schnell wird deutlich, dass auch Gewerkschafter, die sich im allgemeinen Gespräch als klassenkämpferisch einordnen, im Detail eine Politik der Standortsicherung und des Co-Managements vertreten.

Der Eurobetriebsrat wird von den meisten GewerkschafterInnen als eine Instanz zur Lobbyarbeit für den eigenen Standort gesehen, auch wenn es gegen die Kollegen aus anderen Ländern geht. „Man knüpfte Kontakte zu anderen Unternehmen, aber auch zu politischen Parteien, um dort Druck zu machen oder politischen Lobbyismus zu betreiben”, bringt der pragmatische Ostdeutsche Heiner D. dieses Rollenverständnis auf dem Punkt.

Im Gespräch mit Hürtgen gefallen sich auch andere GewerkschafterInnen in der Rolle des Betriebsretters mit guten Kontakten in höchste Politik- und Wirtschaftskreise. Auch der sich selbst als „Sympathisant für alles Soziale” charakterisierende Demiray D. fertigte in seinem Betrieb beschäftigte Leiharbeiter, die mit einem Problem an ihn wandten, mit den Worten ab: „Ich vertrete nicht euch. Ich vertrete meine Leute."

Dass britische KollegInnen im Eurobetriebrat eher als KlassenkämpferInnen denn als LobbyistInnen auftreten, wurde von mehreren ostdeutschen und polnischen InterviewpartnerInnen als mangelnde Europareife und Zeichen für Rückständigkeit interpretiert.
In anderen Zusammenhang wurde kämpferisches Verhalten von Belegschaften mit der Charakterisierung „typisch französisch” ethnisiert und eben nicht als eine Erfahrung in der ArbeiterInnenbewegung wahrgenommen.

Hürtgen liefert mit dem Buch ein realistisches aber auch ernüchterndes Bild über den Bewusstseinsstand europäischer Gewerkschaftspolitik auf Betriebsratsebene, das mehr ist als eine Momentaufnahme. Die Frage, ob und wie es möglich ist, eine klassenbewusste Gewerkschaftspolitik auch auf transnationaler Ebene zu entwickeln, müssen sich die LeserInnen selbst stellen. Doch dazu wäre insgesamt eine gemeinsame linke Politik auf europäischer Ebene erforderlich. Daran fehlt es derzeit aber leider nicht nur bei den Gewerkschaften.

Peter Nowak

Stefanie Hürtgen, Transnationales Co-Management. Betriebliche Politik in der globalen Konkurrenz, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2008, 312 S., 29,90 Euro.