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Lateinamerika im Aufbruch

Lateinamerika befindet sich in einem umfassenden politischen Wandel. In vielen Ländern des Subkontinents sind nach einer langen Phase neoliberaler Hegemonie und US-amerikanischer Dominanz in den letzten Jahren Regierungen gewählt worden, die eine linke Politik zumindest proklamieren und die ihre Wurzeln nicht im traditionellen Parteienspektrum, sondern in sozialen Bewegungen haben.

22.03.2008

In ihrem Buch über Lateinamerika stellen Herbert Berger und Leo Gabriel die zentrale These auf, dass es sich hierbei nicht um eine kurzfristige Konjunktur, sondern um eine historisch tief greifende strukturelle Veränderung handelt.
Dieser historischen Dimension aktueller lateinamerikanischer Politik gehen die Autorinnen und Autoren dabei in sechs Länderberichten nach.
Herbert Berger liefert einen gut strukturierten Überblick über die politische Entwicklung Chiles seit 1970. Er zeigt u.a. auf, dass die Basisbewegungen zwar die Hauptlast im Kampf gegen die Pinochetdiktatur trugen, dann aber in der Zeit der Scheindemokratisierung ab 1990 zunehmend von politischen Parteien verdrängt wurden. Trotzdem ist der Autor optimistisch, denn die sozialen Spannungen im neoliberalen Musterland Chile ließen die sozialen Bewegungen zunehmend wieder an Bedeutung gewinnen.
Viktor Sukups Beitrag über Argentinien skizziert noch einmal die Entwicklung vom wirtschaftlichen Kollaps des Landes 2001 mit der Herausbildung der Bewegung der Piqueteros bis zur linksperonistischen Regierung Nestor Kirchners. Unter Kirchner, so der Autor, sei Argentinien dabei zu einem relativ selbstständigen politischen Akteur aufgestiegen, was sich in der zunehmenden wirtschaftlichen Orientierung auf den Mercosur und die Länder Ostasiens manifestiere.
Der Brasilienbeitrag von Bernhard Leubolt konzentriert sich auf die Entwicklung der Arbeiterpartei (PT) bis 2002 und die Analyse der Politik der Lula-Regierung. Soziale Bewegungen wie die der Landlosen oder der Gewerkschaften kommen dabei allerdings etwas zu kurz.
Ein ähnliches Problem ergibt sich im Beitrag von Birgit Zehetmayer zu Venezuela, die die Person Chávez ins Zentrum stellt, andererseits aber gewerkschaftliche Bewegungen z.B. fast gar nicht erwähnt.
Ein ongoing process ist nach Robert Lessmann die Entwicklung Boliviens nach dem Erdrutschsieg von Evo Morales bei den Präsidentschaftswahlen 2005. Zwar sei im ärmsten Land Südamerikas nun die soziale Bewegung an der Macht, doch seien die Herausforderungen immens (enorme soziale Ungleichheit, Autonomieforderungen, Rohstoffsouveränität, Landreform) und die Regierung neige zu pragmatischen Ad-hoc-Maßnahmen. Dennoch bedeute der Aufstieg von Unterprivilegierten und Indígenas in die Regierung tatsächlich so etwas wie eine Revolution.
In Mexiko schließlich ist es seit den Wahlen von 2006, die von der Rechten gewonnen wurden, zum Aufbau einer wirklichen Gegengesellschaft gekommen. Gilbert López y Rivas und Luís Hernández Navarro gelingt es in ihrem Beitrag, ein spannendes Bild der hieran beteiligten Bewegungen zu vermitteln.
Ergänzt werden die Länderberichte durch Kapitel zu drei zentralen Prinzipien der neuen sozialen Bewegungen in Lateinamerika: Solidarökonomie, pluriethnische Autonomie und partizipative Demokratie.
Ingesamt bietet der Band einen kenntnisreichen und historisch fundierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen der Region. Eine in manchen Beiträgen etwas zu sehr auf die „offizielle Politik” verengte Perspektive stört dabei nur wenig.

Harald Etzbach

H. Berger, L.Gabriel: Lateinamerika im Aufbruch. Soziale Bewegungen machen Politik. Wien: Mandelbaum, 2007, 309 S., ca. 18 Euro