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Den Pointen auf der Spur

Kurt Hofmann

Zu: Manfred Chobot / Gerald Jatzek (Hg.) Schmäh ohne, aber echt Wiener Satire und Humor aus 100 Jahren Mokka-Verlag

15.12.2011

Der Wiener, so meint Ignaz Franz Castelli in seinen einleitenden Worten, wäre ein „geborener Spaßmacher“. Lassen wir das zunächst dahingestellt. Jedenfalls kann der Wiener ein Possenreißer, Wuchteldrucker oder Schmähführer sein. Es sei, so Castelli weiter, Wien die Stadt, „wo die Bonmots wie Pilze aufschießen“. Aha, narrische Schwammerln! Die kann man irrtümlich essen oder unwillkührlich dazu werden – es funktioniert jedoch auch in der absichtsvoll verzehrenden und willkührlich sich verwandelnden Variante, wahrscheinlich sogar besser. Auf die komische Wirkung von Texten umgelegt heißt das, jene „narrischen Schwammerln“ unter den AutorInnen würden die üblichen Wege der Heiterkeitserzeugung verlassen und in schräge Gassen der Pointierung abbiegen – erfreulicherweise finden sich von dieser Kategorie ausreichend Beispiele in Chobot /Jatzeks Lesebuch „Schmäh ohne,  aber echt“.

Im Untertitel werden „Wiener Satire und Humor aus 100 Jahren“ versprochen. Die „Wiener Satire“: auch wenn es das, was der Titel missverständlicherweise impliziert, als an Schulen zu lehrende Lach-Methodik und Marke nicht gibt, sind doch zumindest AutorInnen vorstellbar, welche, bei unterschiedlicher Stilistik und Weltsicht, ein gewisses „wienerisches“ Selbstverständnis haben. Aber der Humor? Allzusehr ist dieser Begriff durch deutsche Zusammenhänge punziert. Humor war im „Dritten Reich“ stets erlaubt, ja nachgerade erste Bürgerpflicht. Aufwendig produzierte UFA-Filme, die „unbeschwertes Lachen“ zur Ablenkung ermöglichen sollte, bis zum bitteren Ende. Wer (noch) lacht, zeigt sein/ihr Unverständnis. Den „Defätigsten“ blieb die Ironie und der Sarkasmus (bis selbst das denkunmöglich war) und die Hoffnung, dass sich nicht ein williger Denunziant fang (und der fand sich meist), der sie ihren Henkern auslieferte.

Schon 1911 notierte Fritz Mauthner in seiner Abhandlung über „Humor“ in der Schaubühne: „Das Wort Humor (…) ist sehr heruntergekommen.“ (Die Schaubühne Nr. 11/16.3.1911). Humor ist stets anpasserisch, der Wiener Schmäh hingegen ist erfrischend hinterfotzig. Und davon findet sich in „Schmäh ohne, aber echt“ so einiges: Perlen des Feuilletons, Perlen der Realsatire (etwa ein Text der legendären Perlen-Reihe), wie der subversive Witz in den „klassischen“ wie in den gegenwärtigen Texten aufleuchtet. Häufig scheint die Auswahl zwingend, bisweilen auch beliebig, aber, wie bekannt, die Geschmäcker san verschieden auf der Lahmgruabn und der Wieden. Freilich dürfte einer wie Robert Neumann nicht fehlen, zumal seine Antipoden, die Kalten Krieger Torberg und Weigel in der Auswahl vertreten sind. Unverständlich auch, dass sich Johann Nestroy in der Sammlung nicht findet, sowie, in der zeitgenössischen Abteilung, Elfriede Jelinek, eine legitime Nachfolgerin von Karl Kraus. Der wiederum wird als „Autor“ der Realsatire „Ein Grubenhund“ einer neuen Generation von LeserInnen unterschlagen, die nichts von dessen gelungenem Coup erfahren, der die ihm verhasste „Neue Freie Presse“ der Lächerlichkeit preisgab. Hier wird aus einem Konzept des Purismus Schlamperei (auch eine sehr wienerische Eigenschaft).

Ungeachtet dieser Einwände ist „Schmäh ohne, aber echt“ dennoch als ideales Weihnachtsgeschenk zu empfehlen, gleichgültig, ob man nun FreundInnen, Familienangehörige oder eben erst Kennengelernte damit beglücken will. Verschenken Sie den Reader „Schmäh ohne, aber echt“ und Sie werden Freude bereiten, Schmäh ohne, aber echt.

Noch ein Wort zu Ignaz Franz Castellis einleitender Bemerkung, der Wiener sei „ein geborener Spaßmacher“: ist er nicht, eher ein genetisch geprägter Grantler? Es sei denn, man denkt dabei an den Lieben Augustin, welcher, ausgerüstet mit einem beachtlichen Schnapsvorrat, sich die gute
Laune und den Humor auch dadurch nicht verderben ließ, dass rund um ihn die Menschen wie Fliegen starben, und - überlebte. Zweifellos ein Hauptspaß, eine Hetz. But that’s another story.