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Christoph Twickel: Hugo Chávez — Eine Biographie

Gerhard Klas

Christoph Twickel hat die erste deutschsprachige Biografie über Hugo Chávez vorgelegt. In seinem Buch porträtiert er den ersten Mestizen unter den lateinamerikanischen Staatschefs mit all seinen Facetten — seine risikoreiche politische Aufbauarbeit in jungen Jahren, sein populistisches Auftreten, aber auch seine Überzeugungen und Taten für die Armen in Venezuela.

08.11.2007

An Hugo Chávez scheiden sich die Geister. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet ihn als "Dampfplauderer", der Spiegel als "Volkstribun". Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist Chávez ein "Erdölsozialist", für die venezolanische Oberschicht ist er ein "Verrückter", dem US-Präsidenten George W. Bush gilt er schlicht als "Bedrohung". Viele Arme und Marginalisierte hingegen — nicht nur in Venezuela — sehen in ihm eine neue Hoffnung. Bei den Treffen der Globalisierungskritiker ist er ein gern gesehener Gast und linke Parteien überall auf der Welt bemühen ihre Denkfabriken, um sein Modell des "Sozialismus im 21.Jahrhundert" zu analysieren und einzuordnen.
Christoph Twickel hat nun die erste deutschsprachige Biografie über Hugo Chávez vorgelegt. Der Journalist bereist Lateinamerika seit 1988 und arbeitete als freier Korrespondent in Mexiko, Panama, Kuba und Venezuela. In seinem Buch porträtiert er den ersten Mestizen unter den lateinamerikanischen Staatschefs mit all seinen Facetten — seine risikoreiche politische Aufbauarbeit in jungen Jahren, sein populistisches Auftreten, aber auch seine Überzeugungen und Taten für die Armen in Venezuela.
Natürlich ist das Porträt des heutigen Präsidenten auch eine Einführung in die Geschichte Venezuelas, die der Autor anschaulich in ihrer Dynamik zu schildern weiß. Obwohl es den Venezolanern schon 1958 gelang, die Militärdiktatur abzuschütteln, etablierte sich nur zehn Monate später ein Regierungssystem, das den größten Teil der venezolanischen Gesellschaft ins politische Abseits stellte und nicht am immensen Reichtum des Landes teilhaben ließ. Der Pakt von Punto Fijo war Grundlage für die Zweiparteienherrschaft von Sozial- und Christdemokraten, die 40 Jahre andauerte. Diese Zweiparteienherrschaft repräsentierte die venezolanische Oligarchie, die ihr Land regelrecht ausplünderte.
Dem Aufstieg von Hugo Chávez ging schließlich eine der größten Revolten im neoliberal geprägten Lateinamerika voraus: 1989 kam es zum Aufstand, zum sog. Caracazo, mit einer landesweiten Plünderungswelle, nachdem die Regierung drastische Preiserhöhungen verfügt hatte. Auf Befehl des sozialdemokratischen Präsidenten Carlos Andres Pérez, der damals Vizepräsident der Sozialistischen Internationale war, wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen. Mehrere hundert Menschen kamen dabei ums Leben, viele davon wurden mit gezielten Schüssen exekutiert. Dieser Aufstand war der Anfang vom Ende der Zweiparteienherrschaft. Die Bevölkerung Venezuelas hatte die Selbstbedienungsmentalität endgültig satt und begann, nach Alternativen zu suchen.
"Ich bin ein Produkt der Umstände", zitiert Twickel den Präsidenten. Diesem Selbstverständnis folgt auch die Biografie und unterlässt es dabei nicht, sich auch mit den schwachen Seiten von Chávez auseinanderzusetzen, etwa mit seinen militärisch geprägten Organisationsvorstellungen und mit seinen manchmal selbstgefälligen Fernsehauftritten, die bis zu sieben Stunden dauern können. Doch der Autor verfällt nicht dem Fehler, eine Biografie vor allem als Psychogramm eines Individuums zu verstehen. Twickel verbindet die Sozialisation seines Protagonisten ganz eng mit der Geschichte des Widerstands in Venezuela, der in all den Jahren der Zweiparteienherrschaft viele verschiedene Organisationen hervorbrachte.
Der heute 52-jährige Hugo Chávez kommt aus dem militärischen Flügel der Opposition: Bereits 1982 war er an der Gründung der Aufstandsbewegung innerhalb der venezolanischen Armee beteiligt. Dort avancierte er schnell zur Integrationsfigur, die bis weit in die zivilgesellschaftliche Opposition ausstrahlte. Mit seiner kompromisslosen Haltung gegenüber Oligarchie und Zweiparteienherrschaft verschaffte er sich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, die seinen politischen Erfolg bis heute begleitet.
Für Twickel ist Chávez weder ein neuer Fidel Castro noch die Reinkarnation eines Salvador Allende. Chávez‘ Sozialismus ziele weniger auf die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, als auf die Inpflichtnahme des Marktes. Der Autor bedauert, dass er den gut abgeschirmten Chávez für seine Biografie nicht selbst interviewen konnte. Dafür sprach er mit zahlreichen persönlichen und politischen Weggefährten sowie Gegnern des Präsidenten.
Twickel hat mit seiner politischen Biografie ein gut recherchiertes Buch vorgelegt, das auch Lateinamerikakennern etwas zu bieten hat. Dank des umfangreichen Glossars und versierten Schreibstils ist es aber ebenso für diejenigen eine empfehlenswerte Lektüre, die sich ohne viel Hintergrundwissen intensiver mit dem Aufstieg des rebellischen Comandante in Venezuela befassen wollen und denen dabei die oftmals eindimensionale Berichterstattung vieler hiesiger Medien nicht ausreicht.

Christoph Twickel, Hugo Chávez — Eine Biographie
Hamburg (Edition Nautilus) 2006, 250 Seiten, ca. 20 Euro